Virtuelles Denkmal "Gerechte der Pflege"

"... die tolldreisten, machthungrigen Horden, sie konnten den Geist nicht morden!"


Schwester Julia Rodzinska / Maria Stanislawa

 

Maria Stanislawa wurde am 16.3.1899 in Nawojowa, Malopolskie, in Polen geboren. Als sie acht Jahre war, starb ihre Mutter, zwei Jahre später ihr Vater. Sie hatte vier Geschwister. Die Dominikanerinnen aus dem naheliegenden Kloster kümmerten sich um die Kinder. Von ihnen wurde sie auch nach der Volksschule auf ein Lehrerseminar geschickt.

 

Sie entschied sich für den Orden und trat am 3.8.1917 in den Orden der Dominikanerinnen als Schwester Julia Rodzinska ein. Nach dem Abschluss des Lehrerseminars widmete sie sich der Erziehung der Kinder, besonders der Waisenkinder. Ab 1926 war sie Leiterin der Staatlichen Hauptschule der Barmherzigen Muttergottes von Ostra Brama in Vilnius. Der Orden wurde zuerst durch die russischen, dann durch die deutschen Besatzer drangsaliert.  Im September 1940 wurden die Ordensschwestern aus dem Schuldienst gedrängt. Illegal setzte Schwester Julia ihre Unterrichtstätigkeit fort.

 

Am 12. Juli 1943 wurde sie von der Gestapo verhaftet. Man warf ihr vor, sich politisch zu betätigen und polnische Partisanen zu unterstützen. Nach einem Jahr Einzelhaft kam sie in das Straflager Prawienischkien und von dort am 9.7.1944 in das KZ Stutthof östlich von Gdansk unter der Nummer 40992. In dem Konzentrationslager brach im November Typhus aus. Der Judenblock kam unter Quarantäne, wurde isoliert, die kranken Frauen erhielten keinerlei Hilfe. Freiwillig meldete sich die Ordensschwester, um die jüdischen Frauen zu pflegen. Dabei infizierte sie sich und starb am 20.2.1945.

 

Eva Hoff, deutsche Jüdin und ehemaliger Häftling im KZ Stutthof, berichtete nach ihrer Befreiung von dem Pflegeeinsatz der polnischen Ordensschwester, was von anderen ehemaligen Häftlingen bestätigt wurde. Am 13.6.1999 wurde Schwester Julia Rodzinska durch Papst Johannes Paul II. in Warschau selig gesprochen. Seit dem 12.6.2006 trägt die Grundschule in Nawojowa ihren Namen.

 

Quelle: Heiligenlexikon; Wikipedia PL; oremosjuntos.com; Elzbieta Grot - „Blogoslawieni meczennicy obozu Stutthof” hg. Panstwowe Muzeum Stutthof Gdansk 1999; Miroslawa Justyna Dombek OP – „Moc w slabosci”  hg. Wydawnictwo Karmelitów Bosych 31-222 Kraków, ul. Z. Glogera 5, 1998


 

Eugenia Stark-Zentnersfer, geb. Stark

 

Eugenia Stark, Rufname Genia oder Cyla, wurde am 5. September 1909 in Boryslaw in Polen geboren. In Polen war sie Friseurin. Mit 16 Jahren lernte sie den zwei Jahre älteren Maks Meier Stark kennen, der 1927 in der Hoffnung auf Arbeit nach Belgien auswanderte. 1929 folgte sie ihrem Freund ohne Papiere nach Antwerpen. Dort fand sie Arbeit als Schneiderin und Friseurin und trat der

sozialistischen Gewerkschaft der Friseure bei. Außerdem gehörte sie wie viele junge polnische Emigranten dem kommunistisch orientierten jüdischen Kulturbund Farein an (Golda Berliner, geb. Luftig). Bereits in Belgien setzte sie sich für das republikanische Spanien ein und beteiligte sich an Sammlungen.

 

1934 heiratete sie Maks Stark. 1935 traten beide der Kommunistischen Partei Belgiens bei.

 

Ihr Mann schloss sich den Internationalen Brigaden an. 1937 folgte ihm Eugenia und arbeitete als Hilfsschwester in den Hospitälern der Internationalen Brigaden in Onteniente, Benicàssim und Mataró.

 

1938 wurde sie Mitglied in der Kommunistischen Partei Spaniens. Im selben Jahr kam am 10.1.1938 ihr Ehemann bei Kämpfen an der Teruel-Front ums Leben. 1939 floh sie mit ihrer Kollegin Civja Vospe (siehe dort) aus Spanien nach Frankreich.

 

 

1940 heiratete sie Isidoor Zentnersfer. Im gleichen Jahr erhielt sie die belgische Staatsbürgerschaft. Während des II. Weltkrieges übernahm sie trotz der eigenen Gefährdung als Jüdin Kurierdienste für Widerstandskämpfer und Kommunistischen Partei. Ab 1947 gehörte sie dem Freundeskreis der Internationalen Brigaden an.

 

 

Eugenia Stark-Zentnersfer starb am 22. Februar 1987 durch einen Verkehrsunfall in Antwerpen.

 

Quelle: Martin Sugarman, AJEX - Jewish Military Museum; Las mamas belgas, Sven Tuytens, ISBN-10: ‎8494992708 ISBN-13: 978-8494992704; Internationale Frauen im Spanischen Krieg 1936 – 1939 https://internationale-frauen-im-spanischen-krieg-1936-1939.de/; https://sidbrint.ub.edu/en/node/26501


 

Vaclava Starkova

 

Die damals 15jährige Rotkreuzhelferin Vaclava Starkova aus Roztoky in Tschechien war an der Rettung und Pflege der Häftlinge des Deportationszuges 94803 aus dem KZ Leitmeritz beteiligt.

 

Der tschechischen Zivilbevölkerung in Roztoky gelang es, die Weiterfahrt des Zuges für einen Tag aufzuhalten  und die Häftlinge mit Trinken und Essen zu versorgen. Schwerkranke und verwundete Häftlinge wurden geborgen und gesund gepflegt.

 

Die Umstände der Pflege waren sehr erschwert und mühsam, da es an Verbandsmaterial fehlte. So musste in der Wundversorgung stark improvisiert werden. Typhus, Flecktyphus, Ruhr waren allgegenwärtig. Der Fünfzehnjährigen war es egal. Sie wollte nur möglichst viele der Häftlinge retten.

 

Beinahe hätte Vaclava Starkova ihren Einsatz nicht überlebt. Während ihrer Pflegetätigkeit wurde das Mädchen am Lazarett aus einem deutschen Flugzeug beschossen, obwohl das Lazarett mit dem Roten Kreuz gekennzeichnet war.

 

Quelle: http://www.roztoky.com/vzpominky-na-transport-smrti-20140516; Dokumentarfilm: Todeszug in die Freiheit; Mocellin / Muggenthaler

 


 

Mutter von Vaclava Starkova

Auch die Mutter von Vaclava Starkovawar (Name unbekannt) pflegte als Rotkreuzhelferin die Häftlinge dieses Deportationszuges.

 

Quelle: http://www.roztoky.com/vzpominky-na-transport-smrti-20140516

 


 

Paulina "Aldona" Staszczuk

 

Von Paulina Staszczuk ist lediglich bekannt, dass sie zur Armia Krajowa gehörte und während des Warschauer Aufstandes als Krankenschwester im Krankenhaus am Luftwaffenstützpunkt „Luzyce“ mit Anna Dyrlacz zusammenarbeitete.

 

Quelle: Encyklopedia Medyków Powstania Warszawskiego


 

Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz / Edith Stein

 

Edith Stein wurde am 12.10.1891 in Wroclaw (Breslau) als Jüngstes von elf Kindern geboren. Die Eltern Siegfried und Auguste waren tief im jüdischen Glauben verwurzelt.

 

Nachdem der Vater früh gestorben war, übernahm die Mutter den Holzhandel mit großem Erfolg. Deshalb konnte sie ihren Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen. Mit einem Jahr Unterbrechung besuchte Edith Stein das Gymnasium in Breslau und legte 1911 das Abitur ab. Sie wollte Lehrerin werden und begann, in ihrer Heimatstadt Germanistik, Geschichte, Philosophie und Psychologie zu studieren.

 

Die bürgerlichen Verhältnisse waren ihr zu eng, sie interessierte sich lebhaft für die Frauenbewegung, Bildungsgleichheit und soziale Fragen. Im Studium setzte sie sich intensiv mit den Schriften des Göttinger Professors Edmund Husserl auseinander. Schließlich wechselte sie nach zwei Studienjahren nach Göttingen. Hier war ihr Studienschwerpunkt die Philosophie. Sie hatte sich bereits als Jugendliche von dem jüdischen Glauben abgewandt und bezeichnete sich als Atheistin, ohne jedoch ihre jüdische Herkunft zu verleugnen. Auf der Suche nach Wahrheit, dem Sein und den Sinn des Lebens vertiefte sie die philosophischen Studien.

 

Zur Pflege kam Edith Stein im I. Weltkrieg. Ihre Kommilitonen mussten an die Front. Sie fühlte sich als Deutsche verpflichtet, ihren Beitrag zu leisten. Freiwillig meldete sie sich als Rot-Kreuz-Helferin. Ihr Einsatzort war in Mährisch-Weißkirchen in der Seuchenabteilung eines Militärlazarettes.

 

Nach Beendigung ihrer Tätigkeit in dem Militärlazarett widmete sie sich wieder ihrer Dissertation und promovierte 1916. Nach einigen Berührungen und Anstössen mit dem katholischen Glauben setzte sie sich 1921 mit dem Buch "Leben der Heiligen Teresia von Avila" auseinander und beschloss, zum katholischen Glauben zu konvertieren. 1922 ließ sie sich taufen und beabsichtigte, eigentlich in ein Kloster zu gehen, wovon ihr abgeraten wurde. Auf Empfehlung ging sie als Lehrerin zunächst zum Institut St. Magdalena in Speyer. Sie gewann an wissenschaftlichen Ruf und wurde auch im Ausland eine gefragte Referentin. 1931 verließ sie Speyer, um ihre Habilitation vorzubereiten. Im April 1932 erhielt Edith Stein am Deutschen Institut für Wissenschaftliche Pädagogik in Münster einen Lehrauftrag. Hitlers Machtergreifung beendete ihre Lehrtätigkeit. Angesichts des Antisemitismus wandte sie sich schriftlich an Papst Pius XI., er möge eine Enzyklika über die Judenfrage veröffentlichen.

 

Da sie keine Vorlesungen mehr halten konnte, ebnete es den bereits früher von ihr gewünschten Weg und sie trat in Köln in den Orden der Karmelitinnen ein. Nach der halbjährigen Probezeit erhielt sie das Ordenskleid und ihren Ordensnamen Teresia Benedicta vom Kreuz. Nach der Progromnacht und zunehmenden Terror wurde der Umzug in den Karmel nach Echt in Holland für den 31.12.1938 beschlossen. Ihre leibliche Schwester Rosa, die ebenfalls konvertiert war, folgte 1940 ebenfalls dorthin. Die rechtzeitige Versetzung nach Le Paquier, ein Schweizer Karmel, scheiterte. Durch die Besetzung Hollands holte sie der Naziterror wieder ein. Am 2.8.1942 wurden Edith und Rosa Stein aus dem Karmel Echt abgeholt und in das Sammellager Westerbork eingeliefert.

 

Edith und Rosa Stein starben in der Gaskammer vom Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, vermutlich am 9.8.1942. Am 1.5.1987 wurde sie von Papst Johannes Paul II. selig und am 11. Oktober 1998 heilig gesprochen.

 

Quellen: Die hl. Teresia Benedicta a Cruce (Edith Stein), Vortrag von P. Dr. Raimund Bruderhofer OCD am 4. Mai 2000 in Horn; Wikipedia


 

Margareta Stein

 

Margareta Stein wurde am 13.7.1899 in Sampetru de Campi geboren. Da die Nazis ihre Opfer als staatenlos erklärten, kann der Geburtsort bisher nicht einem Land zugeordnet werden. Die Krankenschwester wurde im SS-Sammellager Mechelen registriert und mit dem III. Deportationszug unter der Nummer 801 am 15.8.1942 nach Auschwitz verschleppt. Es muss davon ausgegangen werden, dass Margareta Stein ermordet wurde, da von ihr weitere Lebenszeichen fehlen.

 

Ich danke für die Recherche Frau Laurence Schram vom Jüdischen Deportations- und Widerstandsmuseum (JDWM) in der ehemaligen Mechelner Dossinkaserne.


 

Johanna Steinbach

 

Die Krankenschwester Johanna Steinbach arbeitete in der Heil- und Pflegeanstalt Gugging und verweigerte eine Mittäterschaft an Euthanasieverbrechen.

 

Quellen: Gerhard Fürstler: Krankenpflege in der Zeit des Nationalsozialismus, Österreichischer Gesundheits- und Krankenpflegeverband, 3.2.2005


 

Paula  Steiner

 

Paula  Steiner wurde 1885 geboren. Sie machte ab 1905 im Israelitischen Krankenhaus in Hamburg ihre Ausbildung zur Fachkrankenschwester. Anschließend arbeitete sie bis zum November 1938 im geichen Krankenhaus.

 

1939 gelang es ihr, nach Südamerika zu emigrieren. Nach dem Krieg kam sie nach Deutschland zurück. Paula Steiner starb im Juni 1973.

 

Quelle: Israelitisches Krankenhaus in Hamburg


 

Antonie "Toni" Stemmler, geb. Altenmuler

 

Antonie, Spitzname Toni, Altenmuler wurde am 6.11.1892 in Hilterfingen in der Schweiz geboren. Ihr Vater stammte aus Deutschland und die Familie zog 1894 nach Potsdam. Sie wurde Lehrerin und arbeitete ab 1916 an einer Volksschule in Berlin-Moabit. Ab 1927 war sie als Sekretärin im Verlag Rudolf Mosses beschäftigt.

 

Antonie gehörte ab 1932 der KPD an und wurde 1933 aus politischen Gründen verhaftet. Nachdem sie nach einer kurzen Haftstrafe entlassen worden war, emigrierte sie nach Prag und arbeitete beim Prager Arbeiterverlag. 1936 wurde sie verhaftet, weil sie illegale Schriften verteilt haben soll. Das Gerichtsverfahren endete zwar mit einem Freispruch, aber ihr wurde das Aufenthaltsrecht entzogen, woraufhin sie nach Frankreich flüchtete. In Paris arbeitete sie bis 1937 für den Verlag United.

 

Anschließend ging sie nach Spanien und schloss sich den Internationalen Brigaden an. Als Krankenpflegerin arbeitete sie in Murcia, Barcelona und Magoria. Ob sie dafür eine Ausbildung machte und falls ja welche, ist unbekannt. In Spanien verlor sie ihren damaligen Lebensgefährten Ernst Goldstein, der bei Kampfhandlungen ums Leben kam.

 

Nach dem Spanischen Bürgerkrieg emigrierte sie nach Frankreich und kam ins Internierungslager Gurs. Sie wurde 1941 an die Gestapo ausgeliefert und in das KZ-Ravensbrück eingewiesen. In Ravensbrück arbeitete sie im Revier als Pflegerin und konnte zwei tschechischen Häftlingen das Leben retten. 1943 wurde sie ins KZ Auschwitz überstellt. 1945 wurde sie mit Leidensgenossen auf den Todesmarsch geschickt und von der Roten Armee schließlich im April 1945 befreit.

 

Nach Kriegsende 1945 endete ihre Pflegetätigkeit. Antonie Stemmler trat der SED bei und arbeitete von 1945 bis 1947 im Oberlandratsamt Eberswalde. Später war sie Redakteurin beim Frauenrundfunk des Landessenders Potsdam. Von 1950 bis 1954 war sie Abgeordnete der Volkskammer der DDR. 1951 wurde sie Landrätin im Kreis Belzig. 1952 bis 1953 leitete sie als Vorsitzende den Kreis Potsdam-Land. Danach arbeitete sie im Schriftstellerverband der DDR in Berlin. Ab 1961 war sie Bürgermeisterin in Kleinmachnow und ging 1962 in den Ruhestand.

 

Antonie Stemmler starb am 8.5.1976 in Kleinmachnow. Ihre Grabstätte befindet sich auf dem Neuen Friedhof Potsdam.

 

Für ihre pflegerischen Verdienste erhielt sie 1967 die Florence-Nightingale-Medaille. Diese Auszeichnung wird nicht nur an ausgebildete Pflegekräfte verliehen, sondern auch an freiwillige Pflegehilfskräfte, die die Kriterien erfüllen. Außerdem wurde sie 1966 mit der Clara Zetkin-Medaille geehrt und erhielt 1967 den Vaterländischen Verdienstorden der DDR. In der DDR wurden einige Straßen und soziale Einrichtungen nach ihr benannt.

 

Quellen: Bundesarchiv SAPMO DA1/1827; Brandenburgisches Biographisches Lexikon, Verlag für Berlin-Brandenburg Potsdam, 2002; Bettina Meier: Deutsche Frauen im spanischen Exil (Teil 1) In: Schwarzer Faden Nr. 69 (3/1999)


 

Ruth Selma Stern

 

Ruth Stern wurde am 4.7.1922 in Stuttgart geboren. Ihre Eltern Hertha Stern, geborene Deller, und Albert Stern und ihre Brüder Heinz und Hermann lebten in der Azenbergstraße 51. Ihr jüngerer Bruder Heinz entkam im Juni 1939 mit einem Kindertransport nach England. Sie begann nach ihrem Schulbesuch eine Ausbildung zur Krankenschwester in Fürth und wollte eigentlich nach Palästina auswandern. Ihre Eltern bemühten sich noch um eine Auswanderung in die USA, was aber nicht gelang.

 

Als die Familie Anfang November 1941 die Nachricht erhielt, dass sie nach Osten "umgesiedelt" werden sollte, kam Ruth von Fürth nach Stuttgart zurück. Am 27.11.1941 musste sich die Familie auf dem Killesberg einfinden und wurde am 1.12.1941 mit über 1000 Württemberger Juden nach Riga deportiert. Ruth und ihre Eltern kamen in das Lager Jungfernhof, ihr jüngerer Bruder Hermann in ein anderes Lager, wo er überlebte. Am 26.3.1942 wurde Ruth mit ihren Eltern bei einer Massenerschießung ( "Aktion Dünamünde") im Wald von Bikernieki nahe Riga ermordet. Ruth Stern wurde neunzehn Jahre alt. Heute erinnert ein Stolperstein in der Azenbergstraße in Stuttgart an die Familie Stern.

 

Quellen: Stolpersteine für Stuttgart


 

Heinrich (Heini) Stöhr

 

Heinrich (auch Heini oder Heiner gerufen) Stöhr wurde am 12.9.1904 in Weißenburg / Bayern geboren. Seine Eltern gehörten der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung an. Eigentlich wollte Heinrich Arzt werden. Sein Berufswunsch ging nicht in Erfüllung, da die Eltern eine weiterführende Schule nicht finanzieren konnten. So erlernte er den Beruf als Bortenmacher. Später nutzte er die Angebote der Volkshochschulen, um sich weiterzubilden. 1922 trat er in die SPD ein. Nach seinem Umzug nach Fürth engagierte er sich dort in der Partei und Gewerkschaft. Die mittelfränkische Industriestadt galt als SPD-Hochburg und wurde bald ein Zentrum des sozialdemokratischen Widerstandes.

 

Stöhr leitete die Verteilung des "Neuen Vorwärts". Das Parteiorgan wurde in Prag hergestellt und aus Tschechien nach Deutschland geschmuggelt. Im April 1934 wurde er verhaftet. Vor dem Oberlandesgericht München soll er bekannt haben: "Ich war Sozialist, ich bin Sozialist und ich werde es bleiben." Im Januar 1935 wurde er wegen angeblicher Vorbereitung zum Hochverrat zu fünfeinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Haft wurde er am 24.5.1940 in das Konzentrationslager Dachau als sogenannter Schutzhäftling überstellt.

 

Der Berufsfremde wurde im Krankenrevier als Pfleger eingesetzt. Schnellstens versuchte er sich die nötigen pflegerischen und medizinischen Kenntnisse anzueignen. Bald erteilte er anderen Häftlingspflegern Unterricht in Pflege und versuchte den Kollegen Kenntnisse darüber zu vermitteln, wie man Verletzungen durch das SS-Personal behandeln konnte. Ab 1941 wurde er Oberpfleger der Station für "septische Chirurgie" im Dachauer Krankenrevier.

 

Er fälschte Unterlagen, um Kranke vor dem Abtransport ins Gas zu bewahren oder gab eine geringere Anzahl von Verstorbenen an, um mehr Verpflegungsrationen für lebende Patienten zu erhalten. Mithäftlinge, die Opfer der menschenverachtenden medizinischen Versuche wurden, versuchte er zu helfen, indem er ihnen heimlich lebensrettende Medikamente besorgte und verabreichte. Einer seiner Geretteten war der junge Kaplan Kazimierz Majdański, der später in Polen Erzbischof wurde.

 

Kurz vor Kriegsende wurde er von einem SS-Arzt in das Dachauer Nebenlager Lindau geschmuggelt, wo er im April 1945 von den Franzosen befreit wurde. Nach 1945 kehrte er nach Weißenburg zurück und beteiligte sich am Wiederaufbau der SPD. 1946 wurde er in den Bayerischen Landtag gewählt, dem er bis 1958 angehörte.

 

Er engagierte sich auch im sozialen Bereich und in der Arbeiterwohlfahrt. Vielen Menschen half er in der Nachkriegszeit, wieder Fuß zu fassen. 1955 eröffnete er ein Alten- und Pflegeheim, dass auf sein Betreiben geplant und gebaut wurde. 1958 lebte Heini Stöhr in Weißenburg in der Steinleinsfurth 26. Auf dem Weg zur Landtagseröffnung brach er plötzlich am Treuchtlinger Bahnhof zusammen und verstarb unerwartet am 9.12.1958 an den Folgen eines Herzinfarktes. Der Niederländer Nico Rost, ehemaliger Mithäftling in Dachau, schrieb im Nachruf:

 

"Wenig Deutsche haben in Dachau einen so tiefen Eindruck auf die ausländischen Häftlinge gemacht wie er. In ihm begegneten sie plötzlich einem anderen Deutschland, das sie nicht kannten oder das sie schon verschwunden glaubten. Plötzlich wussten wir Ausländer von neuem, dass, solange es noch solche Deutsche gab wie Heini Stöhr, man an der Zukunft des deutschen Volkes nicht zu verzweifeln brauchte. In ihm verkörperte sich wieder das humanistische Deutschland, an das so viele von uns gelaubt hatten."

 

Besonderer Dank gilt Hans-Günter Richardi für Informationen und Bildmaterial zu Heinrich Stöhr durch die Ausstellung "Gesichter der Lagerstraße" im Josef-Effner-Gymnasium in Dachau 2002; Wikipedia: Kazimierz Majdanski: Lebensläufe - Schicksale von Menschen, die im KZ Dachau waren, Dachauer Dokumente / Band 2 ISBN 3831121907, 9783831121908


 

 

 

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