Virtuelles Denkmal "Gerechte der Pflege"

"... die tolldreisten, machthungrigen Horden, sie konnten den Geist nicht morden!"


Bela Niederman

 

Von der Krankenschwester fehlen sämtliche Lebensdaten. Bekannt ist nur, dass die Jüdin bei den Internationalen Brigaden kämpfte.

 

Quelle: Martin Sugarman, AJEX - Jewish Military Museum


 

Helene Betty Nieweg

 

Helene Betty Nieweg wurde am 10.2.1922 in Hoorn in der Provinz Nordholland geboren. Ihre Eltern waren Herman, geboren am 4.8.1892 in Amsterdam und Sara Dina, geborene van Witsen am 19.3.1894 in Woerden. Helenes Eltern wurden am 23.4.1943 in Sobibor ermordet.

 

Nach der Schule begann Helene am 5.2.1940 als Krankenpflege-schülerin in „Het Apeldoornse Bos“ zu arbeiten. Die Schwestern-schülerin musste am 25.1.1943 den Patiententransport „freiwillig“ nach Auschwitz begleiten und wurde ermordet.

 

Helene Betty Nieweg wurde 20 Jahre alt.

 

Quelle: Joods Monument


 

Roosjen Nieweg

 

Roosjen Nieweg wurde am 26.11.1887 geboren. Ihre Eltern waren der Metzger Mozes, geboren 1840, gestorben 1930, und Rachel, geborene Polak 1850, verstorben 1933. Sie war die älteste Tochter von vier Kindern. Ihre Geschwister waren die Krankenschwester Ganna Italiaander-Nieweg, geboren am 4.4.1890, die Kindergärtnerin Jetje Nieweg-Nieweg, geboren am 11.3.1896, und der Kaufmann Abraham Nieweg, geboren am 22.6.1891. Alle Geschwister wurden in Appingedam geboren.

 

Die jüdische Krankenschwester arbeitete im Portugees Israëlitisch Ziekenhuis (Portugiesisches Israelitisches Krankenhaus) in Amsterdam und wohnte im dazugehörenden Schwesternheim. Ihre Schwestern Ganna und Jetje wurden am 4.6.1943 in Sobibor ermordet, ihr Bruder Abraham am 7.8.1942 in Auschwitz, und Roosjen Nieweg am 11.2.1944 ebenfalls in Auschwitz.

 

Quelle: Joods Monument


 

Antonina Alexandrowna Nikiforowa

 

Antonina wurde am 16.6.1907 in St. Petersburg, von 1924 bis 1991 Leningrad, als Tochter eines Postbeamten geboren. Ihr Vater starb 1918, wodurch die Familie verarmte und sie deshalb zeitweise in einem Kinderheim leben musste. Nach der Schulzeit besuchte sie die medizinische Berufsschule und erlernte den Beruf als Krankenschwester. Nach Abschluss der Ausbildung arbeitete sie in dem Beruf und begann neben dieser Arbeit ein Abendstudium am Medizinischen Institut „Iwan Pawlow“, dass sie 1936 als Ärztin abschloss.

 

Ab 1941 war sie Militärärztin in einem Marinelazarett der Roten Armee  und geriet wenige Monate später in deutsche Kriegsgefangenschaft. In Estland, Litauen und Polen war sie in verschiedenen Kriegsgefangenenlagern inhaftiert. Sie pochte auf ihren Status als Kriegsgefangene und weigerte sich strikt, Zwangsarbeit zu leisten. Daraufhin wurde sie 1943 in das KZ Majdanek eingewiesen und am 21.4.1944 in das KZ Ravensbrück verlegt. In Ravensbrück arbeitete sie im Krankenrevier als Häftlingsärztin "Doktor Antonina" und Pathologin. Nachdem das KZ Ravensbrück befreit wurde, arbeitete sie dort weiter als hauptverantwortliche Ärztin im Infektionslazarett.

 

Im Herbst 1945 konnte Antonina Nikiforowa nach Leningrad zurückkehren und war den üblichen Schikanen ausgesetzt, die die befreiten sowjetischen Kriegsgefangenen durch das stalinistische Regime erlitten. Man verweigerte ihr eine Wohnberechtigung in ihrer Heimatstadt. Zunächst fand sie illegal Unterschlupf bei ihrer Schwester und zog schließlich Anfang des Jahres 1946 nach Sibirien, wo sie in einem kleinen Krankenhaus als Ärztin eine Beschäftigung fand. Erst 1948 konnte sie in ihre Heimatstadt zurückziehen und arbeitete dort bis zu ihrer Rente als Pathologin.

 

Neben ihrer Tätigkeit als Ärztin setzte sich Antonina Nikiforowa mit Nachdruck dafür ein, dass die Geschehnisse in Ravensbrück nicht vergessen wurden, hielt mit vielen ehemaligen Mithäftlingen in ganz Europa Kontakt, legte ein Archiv zu Kriegsgefangenschaft und Konzentrationslager an und veröffentlichte später zwei Bücher zu dieser Thematik.

 

A. A. Nikiforowa: "Dies darf nicht noch einmal passieren" 1958 französische Ausgabe "Plus Jamais!" (Nie wieder!)

  A. A. Nikiforowa: "Eine Geschichte über Kampf und Freundschaft" 1967 (Das Buch schildert zunächst, wie sich die Frauen im KZ Ravensbrück gegenseitig halfen und dann über ihre Nachkriegserlebnisse, wie sie auch später nach der Befreiung zusammenhielten und einander unterstützten.)

te Teil beschreibt, wie sich die Frauen in Ravensbrück gegenseitig geholfen haben, der zweite - ungefähr das Gleiche, aber außerhalb des Lagers. An manchen Stellen fiel es mir schwerer, den zweiten Teil zu lesen – in diesem Meer aus intimer Brieferzählung wurden manchmal traurige Geschichten erzählt, die mir das Herz schmerzten.
Подробнее на livelib.ru:
https://www-livelib-ru.translate.goog/review/448120-povest-o-borbe-i-druzhbe-antonina-nikiforova?_x_tr_sl=ru&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=nui
Der erste Teil beschreibt, wie sich die Frauen in Ravensbrück gegenseitig geholfen haben, der zweite - ungefähr das Gleiche, aber außerhalb des Lagers. An manchen Stellen fiel es mir schwerer, den zweiten Teil zu lesen – in diesem Meer aus intimer Brieferzählung wurden manchmal traurige Geschichten erzählt, die mir das Herz schmerzten.
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Antonina Alexandrowna Nikiforowa starb am 8.8.2001 in St. Petersburg.

 

Quellen: „Ravensbrückerinnen“ (Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten), Hg. Jacobeit, Brümann-Güdter, ISBN 10: 3894681632, ISBN 13: 9783894681630; „Kriegsgefangene Rotarmistinnen im KZ“ Sowjetische Militärmedizinerinnen in Ravensbrück, Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst 2016; „Im Auftrag der Erinnerung - Antonina Nikiforova und das Ravensbrück-Gedächtnis“, Ramona Saavedra Santis, ISBN-10: 3863311051, ISBN-13: 978-3863311056; "Ohne Haar und ohne Namen: Im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück", Sarah Helm, ISBN-10: ‎ 3806232164, ISBN-13: 978-3806232165


 

Bertha Louise Nikodijevic, geb. Baetz

 

 

Bertha war die Tochter von Hermann Baetz, geboren am 11.12.1865 in Krosigk in Sachsen-Anhalt, und seiner Frau Martha, geborene Kroebel am 13.3.1868 in Merseburg, ebenfalls Sachsen-Anhalt. Die Eltern heirateten am 17.2.1891 und bekamen insgesamt zehn Kinder, eins der Kinder überlebte allerdings nicht. Die Familie wohnte in Uftrungen im Südharz, wo der Vater eine Anstellung als Steinbruchmeister hatte.

 

Im Februar 1905 starb der Vater durch eine Explosion in einer Pulverhütte, wobei die genauen Umstände dieser Explosion nie wirklich geklärt wurden, ein Anschlag auf ihn nicht ausgeschlossen werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt war Bertha, die am 19.11.1903 in Barth in Mecklenburg-Vorpommern geboren wurde, gerade einmal knapp über ein Jahr und ihre Mutter hochschwanger mit ihrer jüngsten Schwester. Die Familie musste das werkseigene Haus für den neuen Steinbruchmeister räumen und die Mutter konnte zusehen, wie sie sich mit ihren Kindern durchschlug.

 

Schließlich gelang es Berthas Mutter, in Nordhausen mit ihren Kindern Fuß zu fassen und in ihrem erlernten Beruf als Hebamme zu arbeiten. Mitte der zwanziger Jahre emigrierten viele der Geschwister von Bertha durch die wirtschaftliche Situation in Deutschland nach dem I. Weltkrieg in die USA und holten auch die Mutter nach, die allerdings die Strapazen der Reise durch ihre schwere Zuckerkrankheit nicht verkraftete und zwei Monate nach ihrer Ankunft in den USA am 8.2.1926 in Chikago starb.

 

Somit hatte Bertha keine einfache Kindheit und Jugend. Dadurch ist auch erklärbar, dass ihr eine höhere Schulbildung fehlte. Die Familie konnte man als unpolitisch einstufen und Berthas religiöse Ausrichtung war eher begrenzt. Aber sie hatte ihre Werte und Moralvorstellungen, die für sie immer maßgeblich waren. Bertha absolvierte eine Ausbildung in der Krankenpflege, nach Aussage ihres Sohnes zur Hilfskrankenschwester, nach den Angaben ihrer Familie in den USA zur Krankenschwester. Die unterschiedlichen Aussagen zu ihrem Berufsabschluss können auch durch den Vergleich der damaligen Ausbildung in Deutschland und den USA und Anerkennung des Schwesternexamens entstanden sein.

 

Eigentlich wollte Bertha ihren Geschwistern in die USA folgen, als sie aber eine Anstellung in einer Hamburger Privatklinik angeboten bekam, änderte sie ihre Pläne und zog nach Hamburg um.

 

Als der Generalkonsul aus Liberia Momulu Massaquoi sich die Mandeln entfernen lassen musste, lud er nach seiner Genesung die Ärzte und Krankenschwestern ihrer Station in seiner Villa zu einem Fest als Dankeschön für seine dortige gute Behandlung und Versorgung ein. Dort lernte Bertha seinen Sohn kennen, der normalerweise in Dublin studierte, aber in den Semesterferien zu Hause war. Zwischen Bertha und Al-Haj Massaquoi entwickelte sich eine Romanze und daraus Liebe. Dass ihre große Liebe Afrikaner und dunkelhäutig war, spielte für Bertha keine Rolle.

 

Damit war sie für ihre Zeit bereits außergewöhnlich, denn den Rassismus hatten die Nationalsozialisten nicht erfunden. Der war bereits in der deutschen Gesellschaft fest verankert. Es gab bereits vor der Weimarer Republik Afrodeutsche durch die ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika. Nach dem I. Weltkrieg wurde das Rheinland durch französische Truppen besetzt, unter anderem auch durch Truppen aus Frankreichs Kolonien. Durch Verbindungen deutscher Mütter mit afrikanischen Soldaten vergrößerte sich die Anzahl der Afrodeutschen in der Weimarer Republik schätzungsweise auf bis zu 3000. Gerade die afrodeutschen Kinder und ihre Mütter im Rheinland waren massiven Diskriminierungen, Schikanen, Demütigungen ausgesetzt. Die afrodeutschen Kinder wurden  als "Rheinlandbastarde" beschimpft und bereits in der Weimarer Republik in Erhebungen unter dem Stichwort "Schwarze Schmach" erfasst. Der Rassismus wurde zusätzlich angefacht durch die sogenannten Völkerschauen, auch im Hamburger Tierpark Hagenbeck, in denen Menschen aus anderen Ländern wie Tiere ausgestellt wurden.

 

All das blieb Bertha mit Sicherheit nicht verborgen. Sie hatte aber noch ein zusätzliches Problem, weil die versprochene Hochzeit von Al-Haj immer wieder von ihm hinausgeschoben wurde, sodass ihr gemeinsames Kind Hans-Jürgen Massaquoi am 19.1.1926 unehelich in Hamburg zur Welt kam. 1929 kehrte die Familie des Vaters ihres Sohnes aufgrund politischer Umstände nach Liberia zurück. Obwohl Bertha gerne mit ihnen nach Liberia gegangen wäre, schlug sie die Einladung mitzukommen aus und blieb aufgrund des angeschlagenen Gesundheitszustandes ihres Sohnes in Hamburg. Er hatte in kurzen Abständen Diphterie, Keuchhusten, Scharlach und eine Lungenentzündung knapp überlebt und sie fürchtete, dass der Klimawechsel, Tropenkrankheiten und eine mangelhafte medizinische Versorgung sein Leben akut gefährden könnte. Eventuell wurde ihre Entscheidung auch dadurch beeinflusst, dass es immer noch nicht zu einer Hochzeit gekommen war und sie vielleicht begonnen hatte, an den wahren Absichten ihrer großen Liebe zu zweifeln.

 

Ab 1929 musste Bertha nun zusehen, wie sie mit ihrem Sohn alleine zurechtkam. Sie zog mit ihrem Sohn aus der hochherrschaftlichen Villa des Großvaters nach Hamburg-Barmbek, in ein Arbeiterviertel, und begann im St.-Georg-Krankenaus auf der Hals-Nasen-Ohren-Station zu arbeiten. Für ihren Sohn organisierte sie während der Arbeitszeit eine Tagesmutter. Eine finanzielle Unterstützung hatte sie nicht. Durch seine Hautfarbe fiel ihr Sohn in Barmbek natürlich auf. Dennoch gelang es Bertha, ihrem Sohn Halt, Unterstützung und Selbstvertrauen zu vermitteln. Hilfreich für Bertha war, dass ihre Familie ihren Sohn problemlos akzeptierte und ihr Sohn bei ihrem Bruder und seiner Familie regelmäßig in dem damaligen Dorf Salza bei Nordhausen unbeschwerte Ferien verbringen konnte, wo auch die Dorfkinder keine Probleme mit seiner Hautfarbe hatten. Ein Glücksfall war auch die Tagesmutter ihres Sohnes, die zu einem Großmutterersatz für ihn wurde, und deren Familie, die ebenfalls keine rassistischen Ressentiments gegen ihn hegten.

 

Ab 1933 spitzte sich die Lage für die Afrodeutschen zu. Die Nazis hatten von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, wie sie gedachten, mit "Nicht-Ariern" umzuspringen. Bereits in der "demokratischen" Weimarer Republik hatten Migranten aus den ehemaligen Kolonien kaum eine Chance auf Einbürgerung. Den wenigen, denen es gelungen war, verloren unter den Nazis ihre Staatsbürgerschaft und galten nun als Staatenlose. Durch den bestehenden Rassismus in der Weimarer Republik hatten Afrodeutsche kaum die Chance, sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen, weil ihnen Arbeits- und Ausbildungsplätze verwehrt wurden. Diese Tatsache nutzten die Nazis, um Afrodeutsche zu kriminalisieren und oder als asozial abzustempeln. Viele Afrodeutsche kamen als angebliche Kriminelle oder Asoziale in Konzentrationslager. Die meisten wurden später nie rehabilitiert und erhielten keinen Pfennig Wiedergutmachung. Der Rassismus endete in Deutschland eindeutig 1945 nicht.

 

Offiziell gab es keine Gesetze betreffs Menschen mit dunkler Hautfarbe, inoffiziell jedoch die „Sonderkommission 3“. Die Aufgabe dieser Kommission bestand darin, ab 1937 Zwangssterilisierungen bei Afrodeutschen durchzuführen. Wohlgemerkt waren die Zwangssterilisierungen bei den Afrodeutschen auch nach Nazigesetzen illegal. Auf die sogenannten "Rheinlandbastarde" hatten es die Nazis besonders abgesehen, denn sie erinnerten an den verlorenen I. Weltkrieg. Ungeniert benutzten die Nazis die bestehenden Erhebungen "Schwarze Schmach" der Republikaner, um die Menschen ausfindig zu machen. Kinder, die von ihren Müttern zur Adoption freigegeben oder abgeschoben wurden, hatten keinerlei Schutz und wurden die ersten Opfer der Zwangssterilisierung. Oft wurden diese Kinder obendrein aufgrund ihrer Herkunft einfach als "erbkrank" erklärt. Das bedeutete ihr Todesurteil während der T4-Aktion, dem fabrikmäßig organisierten Massenmord an "kranken" und oder "behinderten" Menschen. Genaue Opferzahlen konnten nie ermittelt werden, zumal die meisten Betroffenen typisch deutsche Namen trugen, sodass eine Identifizierung über die Namenslisten nicht möglich war.

 

Dass Bertha jemals ihren Sohn abschieben könnte, war undenkbar. Etwa 1931 hatte Bertha einen Mann aus ihrem Krankenhaus kennengelernt. Anfangs beschäftigte sich ihr Freund auch sehr intensiv mit ihrem Sohn, bastelte und zeichnete mit ihm. Gemeinsam unternahmen sie in seinem selbstgebauten Segelboot oder mit dem Motorrad Ausflüge. Je stärker die Nazis wurden, umso mehr mied er es, sich in der Öffentlichkeit mit Bertha und ihrem Kind zu zeigen. Die Beziehung endete irgendwann abrupt an ihren unterschiedlichen politischen Einstellungen und dass ihm die Hautfarbe ihres Kindes zunehmend unangenehm und peinlich war. Berthas Sohn war ein liebenswertes, hübsches und begabtes Kind. Wer das nicht sah, hatte keinen Platz in ihrem Leben.

 

Wieviel Courage diese Frau besaß, bewies sie Anfang 1934. In der direkten Nachbarschaft hielt die Ortsgruppe der NSDAP in einer Kneipe ihre Versammlungen ab. Ihr Sohn, der wie fast alle Kinder seines Alters dazumal von Hitler und den Nazis begeistert war, hatte neugierig in dieses Lokal geguckt, als er von einem SA-Mann gepackt und zur Rednerbühne in die Kneipe verschleppt wurde. Bertha war mit Sicherheit keine furchteinflößende Erscheinung, bahnte sich aber ihren Weg durch den besoffenen braunen Mob, bedachte den SA-Mann mit einem hasserfüllten Blick, nahm ihm das Kind weg und brachte es in Sicherheit.

 

Einige Zeit später verlor Bertha ihre Stellung im Krankenhaus, weil sie durch ihr Kind von einem Afrikaner als politisch unzuverlässige Person eingestuft wurde. Vergeblich versuchte sie sich gegen ihre Entlassung zu wehren. Sie musste sich nun mit Putzstellen durchschlagen, unter anderem auch bei einem jüdischen Arzt. Den Grund für ihre Entlassung verschwieg Bertha lange ihrem Sohn, um ihn nicht zu belasten.

 

Ihr Sohn, der zu klein war, um Zusammenhänge zu erkennen, auch betreffs eigener Person, aber dennoch pausenlos der Nazipropaganda ausgesetzt war, hatte den Antsemitismus aufgenommen. Viele andersdenkende Eltern vermieden in der Nazizeit offene Gespräche mit ihren Kindern aus Angst, dass sich diese irgendwo verplappern. Bertha korrigierte erfolgreich seine Sicht auf Juden, das war ihr wichtig, nahm ihm aber das Versprechen ab, zu dem Thema zukünftig zu schweigen, um sich nicht in Gefahr zu begeben. Das Kind hielt sich daran. Ihre Stellung bei dem jüdischen Arzt gab sie schließlich notgedrungen auf, weil ihr klar war, dass sie mit diesem Job auch akut ihr Kind gefährdete. In der Progromnacht nahm sich ihr ehemaliger Arbeitgeber, seine Frau und der Sohn im ungefähren Alter von Berthas Kind das Leben. Bertha trauerte um die Familie lange. Ihr Sohn begriff erst viel später, dass dieses Ereignis auch für ihn traumatisch war.

 

Bertha versuchte alles, um ihrem Sohn ein möglichst unbeschwertes Leben mitten im Nazideutschland zu ermöglichen und ihn bestmöglich zu fördern, auch unter persönlichem Verzicht. Natürlich belastete es sie erheblich, wenn ihr Sohn Ausgrenzung erfuhr, beleidigt, gedemütigt, schikaniert wurde. Besonders schlimm war es für sie, dass ihm der Wechsel auf eine höhere Schule verwehrt wurde, obwohl er ein ausgezeichneter Schüler war. Immerhin gelang es, dass ihr Sohn einen Ausbildungsplatz zum Bauschlosser bekam, was schon sehr erstaunlich war.

 

Zu ihren persönlichen Schwierigkeiten kam dazu, dass sie irgendwie wie alle Anderen auch den Krieg überleben mussten. Während der Operation Gomorrha durch die Alliierten 1943, bei dem weite Teile Hamburgs völlig zerbombt wurden und schätzungsweise 34.000 Menschen starben, wurden auch sie ausgebombt und überlebten die Angriffe nur knapp. Zunächst fanden sie bei Berthas Bruder in Salza Unterschlupf. Ihr Sohn schlug die Warnungen ihres Bruders in den Wind und wanderte zum Kohnstein, wo sich inzwischen das KZ Dora Mittelbau befand. Als er dort einen SS-Mann mit seinem Hund entdeckte, marschierte er zurück nach Hause. Durch seine dunkle Hautfarbe ließ sich schnell feststellen, wer dort am Grenzzaun gewesen war. So bekam er deshalb eine Vorladung vom Bürgermeister. Die Angelegenheit ging für ihn glimpflich ab. Nachdem Bertha und ihr Sohn nach Hamburg zurückgekehrt waren, begann der Überlebenskampf von neuem. Nach einer Bombardierung in Harburg, wo inzwischen Bertha und ihr Sohn arbeiteten, wäre ihr Sohn fast gelyncht worden, weil Leute ihn für einen Amerikaner hielten. Kurz darauf kam er in der neuen Firma in Schwierigkeiten durch Flugblätter der Alliierten. Bei einem erneuten Bombenangriff wurde Berthas Sohn als "Ausländer" der Zutritt zu einem Luftschutzbunker verweigert. 

 

Bertha und ihr Sohn überlebten den Krieg. 1948 verließ ihr Sohn Deutschland in Richtung Liberia zu seinem Vater mit ihrer Zustimmung, obwohl ihr diese Trennung sicherlich nicht leicht fiel. Dort machte er zwar wichtige Erfahrungen und lernte auch seinen Halbbruder kennen, allerdings wurde er in Afrika nicht glücklich und wollte unbedingt in die USA, was ihm schließlich Berthas Geschwister 1950 über ein Studentenvisum ermöglichten. Dort machte ihr Sohn auch Bekanntschaft mit Rassismus. Durch einen bürokratischen Fehler wurde er zum Militär eingezogen, was sich langfristig als Segen für ihn herausstellte, um die amerikanische Staatsbürgerschaft zu erhalten und zu studieren. Später wurde er Journalist, Chefredakteur der afroamerikanischen Zeitung Ebony und Schriftsteller.

 

Bertha folgte ihrem Sohn 1952 in die USA. Dort lernte sie den aus dem damaligen Jugoslawien stammenden Mileta Nikodijevic kennen, der sich nicht an der Hautfarbe ihres Sohnes stieß und sie heirateten 1957. Ihr Mann starb am 30.7.1981, Bertha am 17.1.1986 in Illinois.

 

Bertha hatte gezeigt, dass man eindeutig keine höhere Schulbildung oder eine linksgerichtete Parteierziehung benötigte, um Rassismus, Antisemitismus und das Unrecht der Nazis einzuordnen. Auch im Naziterror war es ihr gelungen, Mensch zu bleiben. Ihr war es durch ihren Mut und Beharrlichkeit gelungen, ihren Sohn zu schützen, sodass er das Kriegsende körperlich unversehrt, zwar seelisch gezeichnet, aber nicht zerstört oder gebrochen, erleben konnte.

 

Quellen: https://www.zeitzeugen-portal.de (Rassismus im Nationalsozialismus / Hans-Jürgen Massaquoi); Hans J. Massaquoi "Neger, Neger, Schornsteinfeger", ISBN 13: 978-3-426-61854-7, ISBN 10: 3-426-61854-0; https://de.findagrave.com


 

Regine Ninkler

 

Von der Krankenschwester fehlen sämtliche Lebensdaten. Bekannt ist nur, dass die Jüdin bei den Internationalen Brigaden (siehe dort) kämpfte.

 

Quelle: Martin Sugarman, AJEX - Jewish Military Museum


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