Virtuelles Denkmal "Gerechte der Pflege"

"... die tolldreisten, machthungrigen Horden, sie konnten den Geist nicht morden!"


Bernardus Goslinski

 

Bernardus Goslinski wurde am 8.3.1922 in Groningen geboren. Auch seine Eltern, der Großhändler Salomon Goslinski, geboren am 6.12.1896, und die Hausfrau Frouwkje Goslinski-Gosschalk, geb, am 6.2.1896, kamen in Groningen zur Welt. Der Krankenpfleger arbeitete im "Centraal Israëlitisch Krankzinnigengesticht Het Apeldoornse Bos". Er und seine Eltern wurden im KZ Auschwitz ermordet. Seine Mutter starb am 22.10.1942, sein Vater am 28.2.1943, er selber am 30.4.1943.

 

Quelle: Joods Monument


 

Roosje Goslinski-Manassen

 

Roosje Manassen wurde am 24.3.1922 in Elst geboren. Die Krankenschwester war mit Simon Jacob Goslinski, geboren am 22.4.1920 in Amsterdam, verheiratet. Ihr Ehemann wurde am 31.3.1944 ermordet, sein Sterbeort ist unbekannt. Roosje Goslinski-Manassen wurde von den Nazis in Auschwitz am 28.2.1943 umgebracht.

 

Quelle: Joods Monument


 

Meijer Gosschalk

 

Meijer Gosschalk wurde am 6.8.1921 in Amersfoort geboren. In den Niederlanden lebte er zuletzt in der Zutphensestraat 106 in Apeldoorn. Der Krankenpfleger arbeitete in der "Centraal Israëlitisch Krankzinnigengesticht Het Apeldoornse Bos." Meijer Gosschalk wurde 30.4.1943 in Auschwitz ermordet.

 

Quelle: Joods Monument


 

Maria Gotelf

 

In dem Archiv vom AJEX - Jewish Military Museum werden zwei jüdische Krankenschwestern aufgeführt:  Maria Gotelf und Morisca (Marien) Gotelf. Vermutlich handelt es sich um eine Person. Von der Krankenschwester fehlen sämtliche Lebensdaten. Bekannt ist nur, dass die Jüdin bei den Internationalen Brigaden kämpfte und zur Jaroslav Dombrowski Brigade gehörte.

 

Quelle: Martin Sugarman, AJEX - Jewish Military Museum


 

Rachel Goth, geb. Luftig

 

Rachel wurde am 06.06.1908 in Chrzanów/Polen geboren. Ihre Eltern waren Moses und Bleina Luftig. Die Familie lebte ab etwa 1927 in Belgien. Ihre Schwestern waren Faigla Akkerman (siehe dort) und Golda Berliner (siehe dort).

 

Wie ihre Geschwister gehörte sie dem Migrantenclub Farein an. Im Farein lernte sie auch ihren zukünftigen Mann Elias Goth, François genannt, kennen.

 

In Antwerpen arbeitete sie als Diamantschleiferin in einem jüdischen Unternehmen in der Pelikaanstraat. 1936 beteiligte sie sich am Genralstreik in Belgien für eine Verbesserung der Arbeitszeit, bezahlten Urlaub und Gewerkschaftsreformen. Im Januar 1937 trat sie der Flämischen Kommunistischen Partei bei.

 

Mit einer Gruppe von Frauen, darunter ihre Schwestern Faigla und Golda, kam Rachel im Mai 1937 nach Spanien. Sie hatte in den Internationalen Brigaden einen großen Vorteil, denn sie sprach polnisch, jüdisch, flandrisch, französisch und spanisch.

 

Auch Rachel arbeitete wie ihre Schwestern als Hilfskrankenschwester im Hospital El Belga in Ontentiente.

 

Im August 1938 heiratete sie ihren Freund Elias oder François Goth, der mit seinen zukünftigen Schwagern bereits früher zu den Internationalen Brigaden gegangen war. Er gehörte dem Edgar André-Bataillon der 11. Internationalen Brigade an.

 

Im März 1939 kehrte Rachel nach Belgien zurück, blieb aber nicht untätig. Als Kurier arbeitete sie für Partisanen. Am 12.4.1944 wurde sie allerdings in Brüssel von der Gestapo verhaftet.

 

Rachel wurde in das KZ Ravensbrück deportiert. Das KZ überlebte sie und kehrte am 27.5.1945 nach Antwerpen zurück. Auch ihr Mann überlebte den Krieg und Shoa. Das Ehepaar lebte nach dem Krieg in Paris.

 

Quellen: Geni.com; Le Maitron https://maitron.fr/; Internationale Frauen im Spanischen Krieg 1936 – 1939 https://internationale-frauen-im-spanischen-krieg-1936-1939.de/; https://sidbrint.ub.edu/ca/node/26528 Universi-tat de Barcelona


 

Selma Gottfeld

 

Selma Gottfeld wurde am 20.11.1895 in Kulmsee (Chełmża, damals zugehörig zu Preußen) geboren. Ihre Familie stammte aus Pommern. Ihre Eltern waren der Glaser Isaac Salomon Gottfeld, geboren am 21.1.1856 in Bruss (Brusy), und Minna, geborene Zadek am 4.4.1866 in Brąchnowo. Als Selma gerade drei Jahre alt geworden war, starb ihre Mutter mit nur 32 Jahren am 26.11.1898 in Chełmża. 1899 hatte der Vater nochmal geheiratet, eine Friede, geborene Cohn 1872, die ein eigenes Kind in die Ehe mitbrachte. Diese Ehe blieb kinderlos und wurde 1907 geschieden. Anscheinend gab es Differenzen über die Kinder, da angeblich die Stiefmutter Isaacs Kinder schlecht behandelte und ihr eigenes Kind bevorzugte.

 

Man kann also davon ausgehen, dass Selma und ihre Geschwister eine eher belastete Kindheit hatten. Sie hatte ursprünglich sechs Geschwister, aber ihre Schwester Pauline, geboren 1890, wurde nur drei Wochen alt, die Schwester Ella, geboren 1894, starb mit sechs Monaten und ihr jüngerer Bruder Leo, geboren 1897, erreichte nur das erste Lebensjahr. Die Kindersterblichkeit war damals sehr hoch, auch bedingt durch massive immerwiederkehrende Infektionswellen, fehlende Impfungen und schlechter medizinischer Versorgung.

 

Als weitgehend assimilierte und patriotische Juden in Deutschland engagierte sich die Familie auch im I. Weltkrieg. Ihr Bruder Tobias, geboren 1889, kam zutiefst erschüttert über das Massensterben aus dem Krieg zurück, verlor seinen Glauben, verbot ab da seiner Familie, jüdische Riten zu pflegen und wurde Kommunist. Sally, geboren 1891, wurde zweimal verwundet und erhielt das Eiserne Kreuz Erster Klasse, weil er an der Ostfront einem Vorgesetzten das Leben gerettet hatte. Wie viele jüdische Familien hatte auch Selmas Familie ein Opfer zu beklagen. Ihr Bruder Simon, geboren 1893, kam mit 21 Jahren bereits im ersten Kriegsjahr als Soldat ums Leben. Ob der I. Weltkrieg Selmas Berufswahl beeinflusste, ist unbekannt.

 

Nach dem I. Weltkrieg gehörte Chełmża zu Polen und ihr Vater zog daraufhin 1920 nach Berlin, wo er kurze Zeit später starb. Selmas Bruder Sally lebte bereits in Berlin. Ob Selma gleichzeitig oder bereits früher nach Berlin kam und wo sie ihre Ausbildung zur Krankenschwester absolvierte, ist bisher nicht bekannt. Es ist auch nicht herauszufinden, wo sie arbeitete. Da sie nur wenige Häuser entfernt von der Synagoge in der Passauer Straße wohnte könnte es sein, dass sie eventuell Privatpflegen für die jüdische Gemeinde ausübte, was jedoch lediglich eine Vermutung ist.

 

Bereits im Dezember 1933 wanderte ihr Bruder Sally mit seiner Familie nach Palästina aus, nachdem er am 18.5.1933 von SA-Männern ohne ersichtlichen Grund verhaftet und anschließend brutalst misshandelt worden war. Am 22.6.1933 kam er frei auf Intervention von Kontakten zu früheren Regimentsmitgliedern im I. Weltkrieg. Sally war auch schon vorher bekannt als ausgezeichneter Metallverarbeiter und Klempner, aber sehr schlechter Geschäftsmann. In Palästina geriet er an einen betrügerischen Bauunternehmer, der ihn um sein Geld, dass er aus Deutschland schmuggeln konnte, brachte, sodass die Familie in bittere Armut geriet.

 

Brieflich warnte Sally deshalb seine Geschwister in Deutschland vor Palästina und schilderte das dortige Leben in düsteren Farben. Hatte ihm Selma diese Warnungen vor einer Emigration vorgeworfen, machte ihn verantwortlich für den Tod ihres Bruders Tobias? Oder war sie verbittert, dass sie nicht in die Auswanderungspläne von Sally eingeweiht war? Versprach sie sich Hilfe für die Emigration von Sally? Auf jeden Fall lehnte sie konsequent nach der Nazizeit jeglichen Kontakt zu ihm und seiner Familie ab mit dem Argument, dass Sally ihr Leben zerstört hätte. Der Konflikt könnte auch völlig andere Ursachen gehabt haben, die mit Sallys Auswanderung nicht zu tun hatten, eventuell schon lange schwelten. Das Zerwürfnis der Geschwister kann wohl nicht mehr geklärt werden. Auf dem Foto macht Selma jedenfalls nicht den Eindruck einer verbitterten oder zänkischen Person, die grundlos Streit vom Zaun bricht.

 

Nach Angaben der Angehörigen von Sally wollte Selmas Bruder Tobias angeblich Deutschland nicht verlassen, weil er sich als Kriegsteilnehmer des I. Weltkrieges sicher fühlte. Außerdem hätte die Verwandtschaft in Deutschland allgemein seine Auswanderung missbilligt. Was gegen die Darstellung spricht ist allerdings, dass Tobias mitbekommen haben dürfte, was mit seinem Bruder geschah, der ja ebenfalls Kriegsteilnehmer war und noch dazu hochdekoriert. Es könnte also von Sally auch eine Schutzbehauptung gewesen sein oder für das Jahr 1933 noch zutreffen. Doch die Lage in Deutschland verschärfte sich unter den Nazis für die jüdischen Mitbürger rasant.

 

Tobias war mit Erna, geborene Markuse, verheiratet. Das Ehepaar hatte zwei Töchter, Ruth, geboren 1913, und Ursula, geboren 1919. Nach dem Tod seiner Frau 1926 heiratete er die Witwe Charlotte, geborene Grünbaum 1900, mit zwei Kindern, Eva, geboren 1924, und Helmut, geboren 1926. Vielleicht war er 1933 noch nicht bereit, zu emigrieren. Später spricht gegen sein Sicherheitsgefühl, dass seine Töchter aus erster Ehe durch Fluchthilfe im Juni und August 1939 nach Großbritannien entkommen konnten. Tobias war sich also bewusst, in welcher Gefahr sie schwebten. Eventuell fehlten ihm und seiner Frau und den anderen Kindern anschließend die finanziellen Möglichkeiten zu einer rechtzeitigen Emigration. Tobias wurde am 16.9.1942 im KZ Sachsenhausen, seine zweite Ehefrau, ihre 18jährige Tochter und 16jähriger Sohn im KZ Auschwitz ermordet.

 

Auch Selma war sich mit Sicherheit der Gefahr bewusst, spätestens am 9.11.1938, als die Synagoge in der Passauer Straße von den Nazis geplündert und zerstört wurde. Sie wohnte ja in der direkten Nähe der Synagoge. Ihr gelang es noch kurz vor Kriegsausbruch nach Großbritannien zu entkommen. Ob und wieweit sie dort mit ihren Nichten, den Töchter von Tobias, in Verbindung stand, ist ungewiss. Auf jeden Fall hatten sie nach Kriegsausbruch zwangsweise Kontakt miteinander. Aus Sicherheitsgründen wurden alle Menschen in Großbritannien als sogenannte feindliche Ausländer (Enemy Aliens) interniert, die aus gegnerischen Ländern oder besetzten Gebieten stammten, insbesondere natürlich aus Deutschland und Österreich. Dabei wurde keine Rücksicht darauf genommen, dass die deutschen Juden ja vor den Nazis geflohen waren. Selma wurde am 30.5.1940, Ursula und Ruth am 10.9.1940 im Camp Rushen interniert.

 

Das Camp Rushen befand sich auf auf der Isle of Man, eine Insel in der irischen See. Auf dieser Insel befanden sich mehrere Internierungslager zu dieser Zeit und waren alle in kürzester Zeit überbelegt. Camp Rushen nahm fast die gesamte südliche Halbinsel ein und war mit Stacheldraht umgeben. Es war ein Zivillager und unterstand dem britischen Innenministerium und nicht den Militärbehörden. Über 3.500 Frauen und Kinder kamen dorthin und wurden zumeist in privaten Gebäuden, bei Familien oder in Pensionen untergebracht, dass heißt, dass Einheimische ebenfalls in dem Lager lebten. Die Einheimischen erhielten für jeden Internierten, der bei ihnen lebte, eine Guinee pro Woche und außerdem eine Entschädigung, dass ihr Ort nun ein Internierungslager war. Unter den Internierten waren nicht nur Naziverfolgte und Nazigegner, sondern auch Frauen, die irgendwann aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen mal nach Großbritannien gekommen waren, eine nationalsozialistische Einstellung hatten und unbedingt nach Deutschland oder Österreich zurückwollten. Etwa 600 von ihnen wurden schließlich repatriiert. Das war natürlich für die Flüchtlinge aus politischen oder rassistischen Gründen nicht unproblematisch, auch nicht für Einheimische, deren Angehörige gegen die Nazis kämpften.

 

Auch wenn die Bedingungen während der Internierung relativ human waren, gab es für die Betroffenen zunächst über ihre Verhaftung einen Schock. Naziverfolgte wurden nun als Deutsche, als Feinde, im Prinzip als Nazis klassifiziert, was viele als eine Zumutung empfanden. Dazu kam das Gefühl des Eingesperrtsein, die Verunsicherung, die Furcht vor einer Invasion, ständige Ungewissheit und Zukunftsängste. Das war eine enorme psychische Belastung, zusätzlich zu den oft nicht verarbeiteten Ereignissen der letzten Jahre in Nazideutschland und den Sorgen um die Zurückgebliebenen. Vielleicht reifte in Selma durch ihre Internierung der Plan, irgendwann weiter in die USA auszuwandern, nicht auf Dauer in Großbritannien zu bleiben.

 

Am 14.3.1941 war Selmas Überprüfung abgeschlossen und sie war endlich frei und konnte Isle of Man verlassen. Nach ihrer Internierung arbeitete sie in ihrem Beruf in Wakefield in Yorkshire im Clayton Hospital. Ihre Nichten wurden im Sommer 1941 entlassen und arbeiteten anschließend beim Militär und in einer Munitionsfabrik.

 

Nach Kriegsende blieben ihre Nichten in Großbritannien und Selma zog alleine nach New York in die USA und arbeitete dort in der Privatpflege. Sie blieb ledig.

 

Im Dezember 1979 starb Selma Gottfeld im Alter von 84 Jahren in New York.

 

Quellen: Bundesarchiv Gedenkbuch; Geni.com; YAD VASHEM; Sie waren Nachbarn: Stolpersteinverlegung in der Levetzowstraße; https://gidronb-family.info/: Benjamin Gidron Family Story; https://www.imuseum.im/;

https://www.ihrletzterweg.de: Die Familie von Sally Gottfeld


 

Gerda Gottlieb

 

Die jüdische Krankenschwester konnte nach Shanghai emigrieren. Ihre Lebensdaten sind bisher nicht bekannt. In der Liste der registrierten Juden in Shanghai fehlt sie, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass sie bereits vor 1937 nach Shanghai kam.

 

Es ist anzunehmen, dass die Krankenschwester im Shanghaier Ghetto leben musste. Das Shanghaier Ghetto befand sich im Stadtbezirk Hongkou. Dort lebten etwa 20.000 jüdische Flüchtlinge, überwiegend aus Deutschland, unter katastrophalen Lebensbedingungen. Die geflüchteten Krankenschwestern dort arbeiteten in zwei möglichen Krankenhäusern. Die Bedingungen in den Krankenhäusern waren ebenso schlimm wie im übrigen Ghetto und geprägt von Mangel, Hunger, gefährlichen hygienischen Bedingungen, fehlendem Material und Medikamenten. Es hatte sich unter der jüdischen Bevölkerung herumgesprochen, dass ein Visum nach Shanghai das Überleben bedeuten konnte, aber zu einem sehr hohen Preis. Die meisten Flüchtlinge versuchten alles, um in andere Länder weiterreisen zu können.

 

Quelle: https://www.chinafamilies.net/wp-content/uploads/2021/07/List-of-German-refugees-arrived-in-Shanghai.pdf


 

Johanna Gottschalk

 

Johanna Gottschalk wurde am 17.5.1895 in Erpen geboren. Die jüdische Krankenschwester leitete vom 7.1.1932 bis 17.11.1940 das jüdische Altersheim "Landesasyl Wilhelmsruhe" in der Hermann-Wolf-Straße 31 im Stadtteil Sontheim in Heilbronn. In dem Altersheim lebte ab 1936 auch ihr Vater Albert Gottschalk, geboren am 18.7.1830 in Bramsche und ihre Stiefmutter Jette Gottschalk, geb. Voss, als Heimbewohner.

 

Der zunehmende Antisemitismus entlud sich in der Nacht vom 9. zum 10.11.1938 auch gegen das Altersheim in voller Wucht. Der braune Mob griff das Haus an. Sie versuchte sich der SA-Horde entgegenzustellen. Es nutzte nichts. Die Insassen wurden im Speisesaal zusammengetrieben. Hilflos mussten sie zusehen, wie die Nazis plünderten, wild um sich schossen und das Haus demolierten. Nachdem sich die erste Gruppe ausgetobt hatte, kamen weitere Gruppen der braunen Verbrecher vorbei und setzten das Zerstörungswerk fort. Nach dieser Nacht war das bis dahin gut ausgestattete Altersheim nur noch eine Müllhalde. Höhepunkt des nationalsozialistischen Zynismus war, dass in den nächsten Tagen ein Lehrer mit seiner Schulklasse vorbeikam, um den Kindern zu zeigen, wie man mit jüdischem Eigentum umgehen sollte. Gleichzeitig wurden immer mehr ältere jüdische Einwohner in das schon längst überfüllte Altersheim eingewiesen.

 

Im Dezember 1940 wurde das Altersheim geräumt. Einige der alten Menschen fanden Aufnahme in einem "Judenhaus", dass dem in die USA geflüchteten jüdischen Arzt Dr. Julius Picard gehörte, und nun als provisorisches Altersheim diente. Dort erschien im Morgengrauen am 20.8.1942 die Gestapo mit Lieferwagen und verluden die letzten Heimbewohner zur Deportation nach Theresienstadt. Johanna Gottschalk kam jedoch mit 32 Bewohnern, darunter auch ihre Eltern, nach Buttenhausen, Kreis Münsingen. Dort wurden sie in leerstehende Häuser eingewiesen von bereits vertriebenen jüdischen Familien. Zwischendurch arbeitete die Krankenschwester auch in Herrlingen. In dem früheren jüdischen Landschulheim war ab 1939 ein jüdisches Zwangsaltersheim untergebracht. Die Eltern und andere Heimbewohner wurden am 12.8.1941 nach Killesberg/Stuttgart verlegt, ein Sammellager.

 

Im Dezember 1941 sah man sich in Eschenau wieder. In dem Eschenauer Schloss befand sich ebenfalls ein Zwangsaltersheim und Sammelpunkt für die Deportation.Von dort wurde Johanna Gottschalk am 12.8.1942 nach Theresienstadt deportiert, die Eltern folgten elf Tage später. Am 30.10.1942 starb im Ghetto ihr Vater, am 19.6.1944 ihre Stiefmutter.

 

Über ihre zweieinhalbjährige Leidenzeit in Theresienstadt berichtete Johanna Gottschalk später:

 

"Im August 1942 wurden cirka eintausend Juden aus Württemberg in Stuttgart auf dem Killesberg zusammengebracht und von dort nach Theresienstadt transportiert. Der größte Teil der Leute waren ältere Menschen, sie erlagen bald den Strapazen der unzulänglichen Unterbringungsverhältnisse. Wir kamen am Sonntag, dem 22. August 1942, in Bauschovitz an. Das war zu der Zeit die Bahnstation für Theresienstadt. Von dort mußte man cirka drei Viertelstunden zu Fuß gehen bis nach Theresienstadt. Am Bahnhof in Bauschovitz stand ein Lastkraftwagen, und man forderte ältere Leute auf, diesen Lastwagen zu benutzen, anstatt zu Fuße zu gehen. Cirka 35-40 Leute wurden auf diesem Lastkraftwagen befördert, aber die wenigsten von ihnen erreichten Theresienstadt. Ich hörte nämlich am nächsten Tage, als ich nach einigen alten Leuten nachforschte, die zu meiner Gruppe von Eschenau gehörten, daß der Wagen sich unterwegs überschlagen hatte und die meisten Insassen bei diesem Unfall ums Leben kamen.

 

Der größte Teil der Transportteilnehmer wurde in Theresienstadt in der "Dresdener Kaserne" auf dem Dachboden untergebracht, d. h. die Leute lagen auf dem Boden, in den ersten Wochen ohne irgendetwas; nur das, was sie auf dem Leibe hatten. Die Klosetts waren in einem tieferen Stockwerk, und die wenigsten der alten Menschen konnten sie rechtzeitig erreichen, zumal die meisten von ihnen in den ersten Tagen an Diarrhoe (Durchfall) erkrankten. Es gab zu der Zeit natürlich keinerlei Desinfektionsmittel, nicht einmal Eimer oder Putztücher. So war es für das Pflegepersonal sehr schwer, den Dachboden sauber zu halten. Die alten Leute erkrankten fast alle, und wie ich schon in einem früheren Schreiben erwähnte, starben in den ersten Wochen täglich zwischen 180 und 200 Menschen! Ich selbst arbeitete auf diesem Dachboden bis Anfang Oktober, dann wurde ich von der Lagerverwaltung in einen Kinosaal geschickt, wo ich als Krankenpflegerin arbeitete.

 

In diesem Kinosaal waren zwischen 90 und 100 Personen untergebracht und jeden Morgen fand ich vier oder fünf Leichen vor. Meistens zweimal in der Woche wurden in dem Hof des Anwesens alle beschmutzten Bettsachen verbrannt, da es zu der Zeit keine Möglichkeit gab, diese Sachen zu reinigen. In diesem Kinosaal arbeitete ich bis Februar 1943, dann wurde ich nach Qu 808 versetzt.

Das war ein Häuserblock, in dem 120 alte Leute untergebracht waren, zumeist Frauen. Hier wurden mit der Zeit die Arbeitsmöglichkeiten allgemein und für mich etwas besser, d. h. es gab in diesem Block fließendes Wasser und später gegen Ende 1943 wurde hier eine Wäscherei eingerichtet. In einem früheren Pferdestall wurden die Tröge als Waschbecken verwendet. Zu der Zeit bewohnte ich zusammen mit fünf Frauen ein kleines Zimmer in diesem Block. Jeder versuchte soweit wie möglich sich das Leben und die Arbeit erträglich zu machen. Die größten Schwierigkeiten und Drangsale zu dieser Zeit waren das Ungeziefer, wie Kleiderläuse, Wanzen, Flöhe, Ratten usw. Wer das nicht mitgemacht hat, kann es nicht verstehen.

 

Am 9. November 1943 kam die große Zählung auf den Bauschovitzer Wiesen. Alle Insassen von Theresienstadt, die nur eben gehen konnten, mußten an diesem Tage zu Fuß zu den Bauschowitzer Wiesen gehen. Das war ein Truppenübungsplatz außerhalb des Ghettos. Von 6 Uhr morgens bis 9 Uhr abends waren die meisten dort draußen, ohne eine Möglichkeit zu haben, ihre Notdurft zu verrichten. Viele erkrankten hinterher und natürlich starben auch viele danach. Ich blieb mit noch einer anderen Pflegerin in Qu 808, um die bettlägerigen Kranken zu betreuen.

 

An diesem Tage kam die SS drei Mal in unseren Block, angeblich um Leute, die zurückgeblieben waren, zu zählen. Da nun während des Tages noch einige der Kranken gestorben waren, mußte dreimal gezählt werden, da jedesmal ein anderes Ergebnis herauskam. In der folgenden Zeit kamen natürlich immer neue Transporte in Theresienstadt an, und ebenso wurden Transporte von Theresienstadt fortgeschickt, meistens mit der Bezeichnung "In den Osten".

 

Keiner wußte natürlich genau, wohin diese Transporte gingen; und noch viel weniger wußten wir, daß die meisten dieser Menschen in den Gaskammern umgebracht würden. Davon hörte ich erst nach meiner Befreiung in der Schweiz!

Im Oktober 1944 wurden von Theresienstadt innerhalb von vier Wochen in elf Transporten 20 000 (zwanzigtausend) Menschen "nach dem Osten" verschickt. In einem dieser Transporte schickte man cirka 1700 Ärzte und Krankenpflegerinnen fort. In dem Block, in dem ich arbeitete, waren wir 12 Pflegerinnen, d. h. außer mir war nur noch eine richtig ausgebildete Krankenpflegerin dabei, das andere waren alles ungeschulte Frauen. Von den 130 Kranken nun, die zu der Zeit auf dem Block lagen, wurden 13, von den 12 Pflegerinnen aber wurden 9 fortgeschickt. Die drei zurückgbliebenen mußten nun fast vier Wochen die ganze schwere Arbeit allein machen, die vorher von uns zwölf kaum bewältigt werden konnte. Ich weiß noch ganz genau, daß ich selbst länger als zwei Wochen jeweils 36 Stunden arbeitete, d. h. einen vollen Tag, die Nacht und wieder den Tag, dann hatte ich die zweite Nacht frei, am nächsten Morgen ging der Turnus wieder los.

 

Als dann Anfang Februar 1945 eines Samstags morgens die Gerüchte umgingen, es gehe von Theresienstadt ein Transport in die Schweiz, wollte natürlich keiner daran glauben, man hielt das für irgend eine Falle. Eine Bekannte von mir, mit der ich vor vielen Jahren in Frankfurt am Main zusammengewesen war und zusammengearbeitet hatte, kam zuerst zu mir mit der Neuigkeit und wollte mich überreden, mich mit ihr zusammen freiwillig zu diesem Transport in die Schweiz zu melden. Ich lehnte dies ab, da ich nicht daran glaubte, daß der Transport wirklich in die Schweiz gehe. Ich bemerkte noch zu meiner Bekannten, man wird uns doch nicht in die Schweiz schicken, damit wir dort erzählen können, was alles an Entsetzlichem hier getan hat! Denn für uns war es doch das Schlimmste, was einem Menschen angetan werden kann, was wir in den zweieinhalb Jahren Theresienstadt mitgemacht und mitangesehen hatten!

 

Am Abend um 11 Uhr kam dann der Hausälteste mit dem Aufruf für mich, für eine Krankenschwester R. Schmal, die s. Zt. mit mir auch aus Eschenau gekommen war, und für eine Frau Lang, eine Wienerin, die früher Sozialfürsorgerin gewesen war. Wir mußten uns unverzüglich in die "Sokolowna" (eine Art Volksbildungsheim) begeben, wo man uns unsere bisher gehabte Kennkarte abnahm, und wir einen Zettel mit einer Nummer bekamen. Mit diesem Zettel mußten wir am nächsten Morgen in die "Magdeburger Kaserne" gehen, dort waren alle Büros und Kartotheken. Man gab uns wieder eine andere Nummer und mit dieser endlich mußten wir zur Kommandantur gehen, wo die SS-Leute die jeweiligen Akten hatten. Aber erst am Abend um 7 Uhr kam der Hausälteste noch einmal und sagte uns, daß wir uns fertigmachen sollten für den Transport.

Wir mußten uns um 2 Uhr nachts in der "Hamburger Kaserne" melden, von dort ging der Zug ab. Aber erst am folgenden Vormittag 11 Uhr wurde der Befehl gegeben, daß die Leute sich aufstellen sollten. Man fing an, den Zug zu besteigen, was bis nachmittags 16 Uhr dauerte. In jedes Abteil, das für 8 Personen berechnet war, kamen nun 9 Personen herein, und wir bekamen so viel Brot und andere Lebensmittel, wie wir in den zweieinhalb Jahren nicht mehr gesehen hatten; alles nur, um den Menschen in der Schweiz zu zeigen, wie gut wir hier in Theresienstadt versorgt waren, wo die Menschen zu Tausenden gestorben waren!

 

Nachmittags 16 Uhr setzte sich dann der Zug in Bewegung und am anderen Morgen um 8 Uhr waren wir in Eger, das normalerweise nur 2 Stunden Bahnfahrt von Theresienstadt entfernt ist. Gegen 19 Uhr abends kamen wir aber doch in Konstanz-Petershausen an, wo der Zug über Nacht stehen blieb. Am kommenden Morgen, Dienstag, den 7. Februar 1945, wurden wir nach Kreuzlingen gebracht, wo wir von Schweizer Militär und Rote-Kreuz-Helfern in Empfang genommen wurden. In Erinnerung an den Ort Eger möchte ich nachträglich noch erwähnen, daß der Fluß Eger in der Nähe von Theresienstadt vorbeifloß, und im Zusammenhang damit, daß man von Anfang 1943 an alle Leichen im Krematorium verbrannte, und daß die Asche in kleinen Kartons in unterirdischen Räumen in einer Kaserne aufgehoben wurde. Angeblich war an jedem Karton der Name, Geburts- und Sterbedatum und Transportnummer (des Verstorbenen) aufgeschrieben. Im November 1944 wurde eine Anzahl Menschen, vornehmlich Frauen, zu zusätzlicher Arbeit befohlen und von ihnen wurden diese Kartons auf Fuhrwerke geladen und alle in die Eger entleert.

 

Im November 1944 fing man in Theresienstadt an, eine Art von Baracken zu bauen und wir alle wunderten uns, daß man diese Baracken ohne Fenster baute. Zu dieser Zeit wußte niemand, für welche Zwecke diese Bauten gedacht waren. Sie sollten, wie man später erfuhr, als Gaskammern dienen, aber durch die sich überstürzenden Kriegsereignisse kam es nicht mehr dazu.

 

Ich habe nun soweit alles berichtet, was ich für berichtenswert erachte. Ich kann von mir selbst nur sagen, daß man sich mit der Zeit an die erschreckenden Dinge, an die Arbeit und alles, was mit ihr zusammenhing, gewöhnt hatte. Und daß man sich natürlich täglich fragte: was wird aus uns noch werden? Ich betrachte es heute als ein großes Geschenk Gottes, daß es mir vergönnt war, soweit gesund an Geist und Körper aus der Hölle von Theresienstadt herauszukommen."

 

Ihre Befreiung hatte sie einem Abkommen zwischen dem Schweizer Politiker Jean-Marie Musy und Heinrich Himmler zu verdanken. Musy sorgte für das Freikommen von 1200 Menschen aus Theresienstadt in die Schweiz. Weitere derartige Aktionen wurden von Hitler persönlich unterbunden. Aber Johanna Gottschalk konnte am 5.2.1945 Theresienstadt mit dem Zug in Richtung Schweiz verlassen. Nach dem Krieg wanderte sie nach Johannesburg in Südafrika aus.

 

Quellen: Hans Franke, Archiv der Stadt Heilbronn; Buttenhausen 210 Menschen, 210 Schicksale


 

Martha Gottschalk

 

Martha Gottschalk wurde am 10.5.1916 in Bauchem geboren. Ihre Eltern waren Albert und Caroline Gottschalk. Ihre Mutter starb, als sie sieben Jahre alt war. Ihr Vater heiratete später Jetta, geborene Voss. Nachdem die Lage für Juden in Deutschland immer bedrohlicher wurde, flüchtete die gelernte Krankenschwester nach Südafrika, wo bereits ihr jüngerer Cousin lebte. Nach dem Krieg musste sie erfahren, dass die Nazis ihren Vater, ihre Stiefmutter und andere Familienangehörige ermordet hatten.

 

Quelle: Berufskolleg Wirtschaft Geilenkirchen


 

Lily Goudsmit

 

Lily Goudsmit wurde am 26.6.1920 in Amsterdam, Niederlande, geboren. Die Krankenschwester wurde in Belgien von den Nazis als staatenlos erklärt und im SS-Sammellager Mechelen inhaftiert. Mit dem VII. Transport unter der Nummer 14 wurde sie am 1.9.1942 nach Auschwitz deportiert, wo sich ihre Spur verliert.

 

Ich danke für die Recherche Frau Laurence Schram vom Jüdischen Deportations- und Widerstandsmuseum (JDWM) in der ehemaligen Mechelner Dossinkaserne.

 

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