Virtuelles Denkmal "Gerechte der Pflege"

"... die tolldreisten, machthungrigen Horden, sie konnten den Geist nicht morden!"


Clementine Grube, geb. Mayer 

 

Die jüdische Krankenschwester wurde am 28.8.1903 in Wasserlos in Unterfranken geboren. Ihre Eltern waren Leopold und Margareta Mayer. Leopold Mayer war koscherer Metzger, die Familie also sehr gläubig. 

 

Clementine machte ihre Ausbildung zur Krankenschwester in Köln, vermutlich im israelitischen Asyl für Kranke und Altersschwache. Das jüdische Krankenhaus Köln bildete ab 1895 durch eine Kooperationsvereinbarung mit dem Frankfurter jüdischen Schwesternverein Pflegekräfte aus. Nach ihrer Ausbildung arbeitete sie in München im Israelitischen Krankenhaus. 

 

Dort lernte sie den nichtjüdischen aus Ostpreußen stammenden Malermeister Franz Grube kennen, der auf seiner Wanderschaft in München erkrankte und als Patient im Jüdischen Krankenhaus lag. Sie verliebten sich ineinander, obwohl er evangelisch getauft war und mit dem Kommunismus sympathisierte. 1929 heirateten sie. Clementines Religion trat eher etwas in den Hintergrund angesichts der Ansichten ihres Mannes. Das Ehepaar bekam drei Kinder, Werner, geboren am 12.3.1930, Ernst, geboren am 13.12.1932, und Ruth, geboren am 8.7.1938. Clementine und ihre Kinder waren dennoch Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Das sollte später eine wichtige Rolle in der Nazizeit spielen. 

 

Wären die Kinder nicht in der jüdischen Gemeinde gewesen, hätten die Nazis die Kinder als sogenannte  "Mischlinge ersten Grades" eingeteilt, durch die jüdische Gemeinde galten sie für die Nazis als "Geltungsjuden". "Jüdische Mischlinge" waren nach dem antisemitischen Reichsbürgergesetz von 1935 Deutsche aus einer sogenannten Mischehe, die keine Bindung zum Judentum hatten. Sie mussten nicht den Judenstern tragen und die Judenvermögensabgabe zahlen und wurden meist vor Deportationen verschont. Allerdings waren auch sie betroffen von massiven Unterdrückungen und nicht immer hielten sich die Nazis an ihre eigenen Gesetze. Die sogenannten "Geltungsjuden" waren den "Volljuden" gleichgestellt. Deshalb stellte Clementines Mann 1941 ein Gesuch, die Kinder als "Mischlinge ersten Grades" gleichzustellen. Sein Gesuch wurde abgelehnt. Auch wenn die Religion durch ihren Ehemann keine tragende Rolle in ihrer Familie spielte, so stammte Clementine aus einer gläubigen Familie. Dennoch ließ sie ihre Kinder 1943 taufen in der Hoffnung, dass sie so doch als "Mischlinge ersten Grades" anerkannt werden, was nicht geschah.

 

Der einzige Schutz für Clementine und die Kinder vor einer Deportation war die Ehe mit Franz. Und ihr Mann blieb, im Gegensatz zu vielen anderen Leuten in ähnlicher Situation, standhaft. Trotz Einschüchterungsversuchen, Druck, Drohungen weigerte er sich, sich scheiden zu lassen, kämpfte um seine Frau und Kinder. Dabei wurde die Familie bereits vor dem Novemberpogrom mit dem Naziterror konfrontiert. Die Familie lebte in der Herzog-Max-Straße 3. Das Wohnhaus gehörte der Israelitischen Kultusgemeinde und befand sich direkt neben der Synagoge. Am 8.6.1938 wurde die jüdische Gemeinde gezwungen, zu einem Spottpreis die Synagoge und Häuser Herzog-Max-Straße 3 und 5 an die Stadt München zu verkaufen. Anschließend wurde die Synagoge auf Befehl Hitlers abgerissen und den Mietern der Herzog-Max-Straße 3 und 5 gekündigt. 

 

Davon war auch die Familie Grube schwer betroffen, denn als sogenannte Mischehe bekamen sie keine neue Wohnung. Der Ehemann verweigerte deshalb zunächst den Auszug, woraufhin die Stadt München der Familie Wasser, Strom und Gas sperrte. Schließlich mussten Clementine und ihr Mann doch ausziehen und gezwungenermaßen aufgrund einer fehlenden Bleibe ihre Kinder in dem jüdischen Kinderheim Antonienheim unterbringen. Ihre Kinder erlebten dort die Deportation anderer Kinder aus ihrem Heim und kamen später in die Lager Milbertshofen und Berg am Laim.

 

Clementines Mann konnte auch nicht verhindern, dass seine Frau in der Flachsröste Lohhof Zwangsarbeit leisten musste. Die Flachsröste galt als kriegswichtiger Betrieb. Dort wurde aus Flachsstroh Leinenfasern gewonnen, die später zu Leinen für Uniformen, Rucksäcke, Seile, Zelte verarbeitet wurden. Die Bedingungen in der Flachsröste waren grausam. Bei völlig unzureichender Verpflegung mussten die ZwangsarbeiterINNen harte körperliche Arbeit leisten unter ständiger extremer Staubbelastung in den Fabrikhallen. Dazu kamen Schikane, Übergriffe und Misshandlungen durch AufseherINNEN. Viele Menschen überlebten die "Hölle von Lohhof" nicht oder wurden, am Ende ihrer Kräfte, von dort in Vernichtungslager deportiert und ermordet.

 

Immerhin konnten Clementines Kinder wieder ab 1943 zu ihren Eltern zurückkehren, als das Sammellager Berg am Laim aufgelöst wurde. Franz hatte zwei winzig kleine Zimmer mieten können. Das Leben war hart für Clementine und ihre Familie. Sie und die Kinder durften beispielsweise bei Luftalarm nicht in den Luftschutzbunker. Die Ernährung war schwierig. Ihr Ehemann bemühte sich ständig, Lebensmittel aufzutreiben, denn die Lebensmittelkarten für Juden reichten bei weitem nicht aus.  Natürlich hofften Clementine und ihr Mann, dass sein Schutz ausreichen würde, doch am 5.2.1945 platzten alle Hoffnungen wie Seifenblasen. Clementine und die Kinder erhielten den Deportationsbefehl.

 

Clementine versuchte, als nicht transport- und lagerfähig, mit den Kindern von der Deportation zurückgestellt zu werden. Ihre medizinischen und pflegerischen Kenntnisse reichten aus, um Fieber zu bekommen. Der jüdische Arzt schrieb sie auch krank, die Gestapo lachte nur über die Krankschreibung und ihr Mann musste hilflos mit ansehen, als Clementine und die Kinder abgeholt wurden. Am 21.2.1945 wurde sie mit ihren Kindern unter den Transportnummern 1410, 1411, 1412 und 1413 mit dem Transport II/35 von München nach Theresienstadt deportiert.

 

In Theresienstadt wurde Clementine von ihren Kindern getrennt. Sie arbeitete wieder in ihrem Beruf als Krankenschwester. Ihr inzwischen 15jähriger Sohn Werner wurde zum Arbeitsdienst eingeteilt und musste Tote zum Krematorium bringen oder mit eingraben, weil das Krematorium zumeist überlastet war. Ernst und Ruth waren auch in Kinderheimen getrennt untergebracht. Es gab keine Möglichkeit, miteinander Kontakt aufzunehmen. Die Ungewissheit, wie es ihren Kindern ging, belastete Clementine neben den extremen Arbeitsbedingungen zusätzlich.

 

Der Horror endete nicht mit der Befreiung am 8.5.1945, denn Theresienstadt konnte zunächst nicht verlassen werden, weil das KZ unter Quarantäne wegen Typhus stand. Auch Clementines Sohn Werner erkrankte. Am 26.6.1945 konnte Clementine endlich nach Hause kommen, sie und alle drei Kinder hatten überlebt. Nach der Heimkehr versuchte Clementine jahrelang, Angehörige zu finden. Sie musste es verkraften, dass sie die einzigen Überlebende ihrer Familie waren.

 

1946 bekam die Familie wenigstens eine Wohnung. Da sie als Verfolgte der Nazis so ziemlich alles verloren hatten, war der Neubeginn schwer. Es gab keine Entschädigung, keine Unterstützung oder Hilfe und materielle Nöte blieben lange als Begleiter.

 

Clementine Grube starb am 13.7.1970 in München.

 

Quellen: Ernst Grube (Zeitzeugengespräch am 6.5.2025 in Sulzbach-Rosenberg); YAD VASHEM; geni.com; Terezinska Pametni Kniha; Statistik des Holocaust, Susanna Schrafstetter: "Geltungsjüdische“ Jugendliche in München 1938–1945"; Erinnerungsort Flachsröste Lohhof; Hannah Brinkmann: Zeit heilt keine Wunden – das Leben des Ernst Grube, ISBN 3964451215


 

Paul Grünewald

 

Paul Grünewald wurde am 15.1.1912 in Frankfurt am Main geboren und stammte aus einem sozialdemokratischen Elternhaus. Er wurde kaufmännischer Angestellter und trat dem Zentralverband der Angestellten, ZDA, bei. Außerdem gehörte er zunächst der SPD und Jungsozialisten, später der Sozialistischen Arbeiterpartei, SAP, und ab 1932 der Kommunistischen Partei Deutschland, KPD, an. Nach der Machtübernahme der Nazis wurde er in einer Widerstandsgruppe aktiv. Durch Verrat wurden er und 30 Mitglieder seiner Widerstandsgruppe 1934 verhaftet. Nach dreieinhalb Jahren Haft wurde er am Entlassungstag erneut durch die Gestapo verhaftet und ins KZ Buchenwald überführt.

 

Laut Vorschrift durften zunächst im Krankenrevier keine inhaftierten Krankenpfleger oder Ärzte arbeiten. Erst allmählich wurde diese Vorschrift durch massiven Arbeitskräftemangel gelockert. Dadurch gelangte Paul Grünewald ins Krankenrevier. Zunächst war er als politischer Häftling Schreiber des Lagerarztes. Später setzte man ihn auch als Pfleger und Obduktionsgehilfen ein. Paul Grünewald musste sich, ebenso wie alle anderen im Krankenrevier tätigen Häftlinge, seine medizinischen und pflegerischen Kenntnisse selbst aneignen.Er arbeitete aber mit Karl Krämer zusammen, durch den er sich auch pflegerisches Wissen aneignen konnte.

 

Man versuchte das Verbot, jüdische Häftlinge medizinisch zu versorgen, zu hintergehen. Häftlinge wurden geschützt, indem man ihre Entlassung hinauszögerte. Medikamentenbeschaffungsbögen wurden manipuliert, auf illegalen Wegen zusätzliche Medikamente oder Operationsbestecke besorgt, Papiere im Interesse der Patienten gefälscht. Das Taktieren mit den SS-Ärzten konnte gefährlich werden. In den Revieren wurde unter dem Schutz von Infektionskrankheiten, die die SS-Leute natürlich mieden, Widerstandsarbeit geleistet.

 

Sein Vater und seine Verlobte intervenierten immer wieder, bis Paul Grünewald Oktober 1940 probeweise aus dem KZ entlassen wurde. Mit seiner Entlassung endete sein pflegerisches Engagement. Er begann bei einer Firma für chemische Artikel für die Schuhindustrie zu arbeiten, die in den Kriesjahren als "kriegswichtig" wegen Reparaturen an Soldatenstiefeln eingestuft war.  Bald hatte er sich dort zum Abteilungsleiter hochgearbeitet.

 

Nach 1945 war er Betriebsrat, Mitbegründer der KPD Obertaunus und von 1948 bis 1952 Kreistagsabgeordneter der KPD im Obertaunus und Abgeordneter im Stadtparlament Oberursel. Außerdem engagierte er sich im  Internationalen Buchenwald Komitee und in der Aufarbeitung vom KZ Buchenwald und Nationalsozialismus.

 

Paul Grünewald starb am 20.10.1996 in Oberursel.

 

Quelle: Buchenwald. Ein Konzentrationslager, ISBN 3320007912; Wikipedia; Ein schmaler Grat - Widerstand im KZ Buchenwald - Ein Vortrag von Bernd Langer (2014)


 

Selma Grünewald

 

 

Selma wurde am 23.6.1899 in Kobern (damals eine selbstständige Gemeinde, heute ein Ortsteil von Kobern-Gondorf) bei Koblenz geboren. Sie war das jüngste Kind ihrer Eltern Samuel, geboren am 5.9.1858, und Susanna, geborene Meyer am 23.6.1859. Bereits die Eltern waren wie ihre Kinder in Kobern geboren. 

Die jüdische Familie Grünewald, wohnhaft in dem Haus im Mühlengraben 15, konnte man als alteingesessene Koberner bezeichnen. Ihr Vater, ein Kaufmann, war lange Jahre bis zu seinem Tod 1933 Gemeindevorsteher der jüdischen Gemeinde. 

 

Die älteren Geschwister von Selma waren Paula, geboren am 18.9.1891, Julius, geboren am 8.5.1892, Norbert, geboren am 11.9.1894 und Moritz, geboren am 8.6.1897. Norbert und Moritz starben jedoch bereits als Kleinkinder. Ihre Schwester Paula war mit Gustav Windmüller verheiratet und hatte mit ihm zwei Söhne, Hans und Oscar. Über ihren Sohn Oscar ist nichts bekannt, Hans emigrierte am 3.5.1939 nach England. Paula starb am  6.11.1920. Die Hintergründe sind bisher nicht bekannt. Selmas Bruder Julius übernahm die Geschäfte seines Vaters als Viehhändler, wanderte aber bereits 1937 über Frankreich mit seiner Frau und Kind nach Südafrika aus. Hintergrund seiner Emigration war, dass er schlimmen Schikanen der Nazis ausgesetzt war. Nachdem er versuchte, Außenstände einzutreiben, wurde er von den Nazis zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Damit war Selma und ihrer Mutter die wirtschaftliche Grundlage genommen. Auch Selma und die Mutter wollten 1938 auswandern, aber ihnen wurden die Reisepässe abgenommen. 1939 mussten sie Kobern verlassen und nach Düsseldorf ziehen, wo Selma auch Zwangsarbeit leisten musste.

 

Auch Selma wurde ausgiebig schikaniert. Nach ihrer Schulzeit in Kobern absolvierte sie in Koblenz eine Krankenpflegeausbildung. Dabei ist nicht klar, wo sie die Ausbildung absolvierte mit welchem Berufsabschluss. Anschließend arbeitete sie bei einem Arzt in Köln. Dass sie sehr früh ins Visier der Gestapo geriet, lag auch an ihrem Engagement in der Weimarer Republik.

 

Sicher ist, dass sie 1923 oder 1924 an einem Schwangerschaftsabbruch beteiligt war. Denn 1924 verurteilte sie das Landgericht Bonn wegen Beihilfe beim Schwangerschaftsabbruch zu sechs Monaten Gefängnis. Zu dieser Zeit wurden Schwangere, die eine Abtreibung vornahmen, mit bis zu fünf Jahren Zuchthaus bestraft. Die gleichen drakonischen Strafen drohten denjenigen, die mit Einwilligung der Schwangeren den Eingriff vornahmen oder der Schwangeren die Mittel zu einem Schwangerschaftsabbruch bereitstellten. Auch ohne Kenntnis der Gerichtsakten ist angesichts des Urteils und Strafmaß ersichtlich, dass sie erstens den Schwangerschaftsabbruch nicht alleine durchführte, also keine sogenannte "Engelsmacherin" oder Kurpfuscherin war. Es spricht vieles dafür, dass sie ihrem Arbeitgeber bei dem Schwangerschaftsabbruch lediglich assistierte. Ohne Einsicht in die damaligen Gerichtsakten kann man allerdings nur mutmaßen.

 

Gegen den § 218 und § 219 wehrten sich nicht nur große Teile der damaligen Frauenbewegung, sondern auch linksorientierte Parteien. Eine wirksame Geburtenkontrolle war dazumal kaum möglich, zumal es ein Verbot gab, im öffentlichen Handel Verhütungsmittel anzubieten. Gerade die armen Bevölkerungskreise rutschten durch ihre Kinderzahl zunehmend in Not und Elend ab. Die Abtreibungen nahmen deshalb trotz der strengen Gesetze nicht ab, sondern zu. Besonders arme Frauen wurden so systematisch den "EngelmacherINNEn" zugetrieben, die in irgendwelchen Hinterhöfen unter unhygienischen Bedingungen, oft ohne medizinische Kenntnisse, mit nichtmedizinischen Instrumenten oder Mitteln Schwangerschaftsabbrüche durchführten. Immer wieder kam es durch solche Eingriffe zu schwerwiegenden Komplikationen und viele Frauen bezahlten derlei Eingriffe mit ihrem Leben. 

 

Nach dem Gefängnisaufenthalt machte sich Selma dafür stark, öffentlich über ungewollte Schwangerschaften aufzuklären und prangerte illegale Schwangerschaftsabbrüche an. Unter dem Künstlernamen Dr. Nora Norelli begleitete sie mit Vorträgen Aufklärungsfilme wie den Film „Frauennot – Frauenglück“ und andere, die sich mit dem Thema beschäftigten. Nach der Machtübernahme der Nazis, die den § 218 verschärften, Frauen als Gebärmaschinen ansahen, um genügend Menschenmaterial für ihre aggressive Expansionspolitik zu bekommen, geriet Selma sofort ins Visier der Gestapo.

 

Doch anscheinend hatte die Gestapo nichts gegen sie in der Hand. Denunziationen folgten, man versuchte systematisch, sie zu diskreditieren, unterstellte ihr, eine übelbeleumundete Person zu sein, die sich mit Männern rumtrieb. Als Beweis diente zum Beispiel, dass sie mit Sally Stern, ein Lokal aufsuchte. Der ältere Herr war ein uralter Bekannter der Familie, eventuell sogar ein entfernter Verwandter, den sie von klein auf kannte. Vormittags besuchte er ihre Mutter, die zu diesem Zeitpunkt pflegebedürftig und auf ihre Tochter angewiesen war. Dort hatte er Selma, die zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend war, eine Nachricht hinterlassen, dass er sie mittags zum Essen in dieses Lokal einlud. Angesichts der finanziellen Lage von Selma war diese Einladung als ein Geschenk anzusehen. Es gab keinen Hinweis in der Gaststätte, dass der Zutritt für Juden nicht gestattet war. Diesen Gaststättenbesuch als Beweis für ihren liederlichen Lebenswandel anzuführen, war einfach nur lächerlich.

 

In den Gestapoakten wurde außerdem erwähnt, dass sie einen zwanzigjährigen unehelichen Sohn gehabt haben soll. Ein uneheliches Kind galt damals als Schande. Allerdings existiert bis auf den Eintrag in den Gestapoakten kein weiterer Hinweis auf diesen Sohn, kein Name, kein Geburtsdatum - nichts.

 

Schließlich unterstellte man ihr "Rassenschande". Angeblich hätte sie mit einem Gastwirt 1937 Geschlechtsverkehr gehabt. Zu dieser Zeit wurde Selma bereits von der Gestapo observiert. Trotz der Gestapomethoden bestritt Selma diesen Vorwurf vehement. Dass die Anklage fingiert war, wird spätestens daran ersichtlich, dass es der Gestapo drei Jahre zuvor nicht auffiel und es zu keiner Anklage gegen den Mann kam, weil er angeblich nicht wusste, dass sie Jüdin war. Dieses Vorgehen gegen den Mann entsprach nicht den üblichen Gepflogenheiten der Gestapo. Worum es der Gestapo wirklich ging, war ihr Kampf für legale Schwangerschaftsabbrüche, denn darauf und auf ihre Vorstrafe von 1924 ging sie in der Festnahmemeldung explizit ein.

 

Nach dem Gefängnisaufenthalt in Leipzig wurde Selma in das KZ Ravensbrück deportiert. Ihre sogenannte „Schutzhaft“ wurde ohne Begründung immer wieder verlängert. Kurz vor ihrer Deportation nach Theresienstadt bekam Selmas Mutter die Nachricht, dass ihre Tochter im KZ Ravensbrück am 15.3.1942 an einer akuten gelben Leberatrophie gestorben sei. Diese Todesmeldung entsprach nicht der Wahrheit. Die Mutter Susanna Grünewald überlebte übrigens Theresienstadt nicht. 

 

Selma Grünewald wurde in der Mordfabrik Bernburg innerhalb der Aktion 14f13 als nicht mehr arbeitsfähiger Häftling in der Gaskammer ermordet.

 

Quellen: YAD VASHEM; geni.com; Mahnmal Koblenz; Arolsen Archives; Das Bundesarchiv Gedenkbuch; geni.com; Bundesarchiv Gedenkbuch; Alemannia Judaica


 

Oskar Grünfeld

 

Oskar Grünfeld wurde am 25.8.1886 in Wien geboren. Er war mit Betty, geborene Herrmann verheiratet. Eigentlich war er kaufmännischer Angestellter. Doch auf der Deportationsliste vom "24. Osttransport" wurde als seine letzte Tätigkeit Krankenpfleger eingetragen. Zielort der Deportation am 9.12.1942 war Auschwitz, wo das Ehepaar ermordet wurde.

 

Als Todesdatum wurde der 31.3.1943 festgelegt. Für das Ehepaar wurde am 14.10.2014 Stolpersteine vor der Konstanzer Straße 62 in Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf verlegt.

 

Quellen: Stolpersteine Charlottenburg-Wilmersdorf


 

Beile Betty (Berta) Grünspan

 

Beile Betty, genannt Berta, Grünspan wurde 1890 als zweites von sechs Kindern in Niedzybrodrie in Galizien geboren. Ihr Vater war der jüdische Kaufmann Hermann Grünspan. Nach Besuch der deutschen Schule half sie im Haushalt der Eltern.

 

Mit 17 Jahren begann sie in Wien eine Ausbildung zur Krankenschwester. Später arbeitete sie als OP-Schwester im Rothschildspital in Wien.

 

Im I. Weltkrieg pflegte sie verletzte Soldaten an der serbischen Front.

"Nebenbei" holte sie das Abitur nach und studierte von 1917 bis 1924 Medizin. Danach arbeitete sie als praktische Ärztin im Wiener Versorgungsheim. Nachdem sie sich mit der Psychoanalyse beschäftigt hatte, machte sie eine Lehranalyse und wurde 1937 Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung.

 

1933 wurde sie aus rassistischen Gründen beim Versorgungsheim gekündigt und arbeitete fortan in einem jüdischen Privatspital. Als 1938 die Nazis in Wien einmarschierten, emigrierte sie nach Palästina. In Haifa eröffnete sie 1941 eine psychoanalytische Praxis. Ab 1955 arbeitete sie als Ärztin in einem Kibbuz. Bis kurz vor ihrem Tode 1975 hielt sie noch Sprechstunden an der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses von Afula ab.

 

Quelle: Elke Mühlleitner: Biographisches Lexikon der Psychoanalyse, ISBN 3-89295-557-3; Psychoanalytikerinnen Biografisches Lexikon; Vienna Psychoanalytic Society The First 100 Years, ISBN-10: 3850331903, ISBN-13: 978-3850331906


 

Eugenia Grunsky (oder Gursky)

 

Von der jüdischen Krankenschwester aus den USA fehlen bisher die Lebensdaten. Sie kämpfte in den Internationale Brigade auf Seiten der Republikaner.

 

Quelle: Martin Sugarman, AJEX - Jewish Military Museum


 

Saeah (Suzanne) Grunstein

 

Von der Krankenschwester fehlen sämtliche Lebensdaten. Bekannt ist nur, dass die Jüdin bei den Internationalen Brigaden kämpfte und zur Jaroslav Dombrowski Brigade gehörte.

 

Quelle: Martin Sugarman, AJEX - Jewish Military Museum


 

Ilse Regine Gunz

 

Ilse Gunz wurde am 11.3.1912 in Augsburg geboren. Ihr Vater war der Justizrat Eugen Gunz, geboren am 15.4.1874 in Augsburg und die am 13.8.1887 in Wiesbaden geborene Mutter Dora, geborene Rosenstrauss. Sie hatte einen jüngeren Bruder, Franz Herrmann Ludwig, geboren am 21.1.1914.

 

Ilse besuchte die Maria-Theresia-Schule in Augsburg von 1924 bis 1928. Anschließend arbeitete sie als Büroangestellte in einem Augsburger Kaufhaus. Ab 1935 lebte sie in Berlin. Im Jüdischen Krankenhaus absolvierte sie die Ausbildung zur Krankenschwester.

 

Die Vermutung liegt nahe, dass sie die Schwesternausbildung begann, um Deutschland verlassen zu können. Krankenschwestern wurden gesucht, zum Beispiel in England. Es erhöhte die Chance auf ein Einreisevisum.

 

1935 gelang es ihrem Bruder, nach Palästina auszuwandern. Dort heiratete er Hanna, geborene Altberger, am 6.5.1918. Das Ehepaar hatte drei Kinder. Ilses Bruder starb am 16.3.2001 als Zvi Gunz in Israel.

 

1939 hatte Ilse das lebensrettende Visum und konnte sich auch in Sicherheit bringen durch Emigration nach England. Dort arbeitete sie weiterhin als Krankenschwester.

 

Ihre Eltern wurden am 8.3.1943 vermutlich nach Auschwitz deportiert und gelten als verschollen. Ilse und ihr Bruder füllten für die Eltern bei YAD VASHEM das Erinnerungsblatt aus.

 

Ilse Gunz blieb anscheinend ledig. Sie starb mit 90 Jahren im April 2002 in London.

 

Quellen: Schülerinnen und Schülern des Maria-Theresia-Gymnasiums in Augsburg: Spurensuche Die jüdischen Schülerinnen und die Zeit des Nationalsozialismus an der Maria-Theresia-Schule Augsburg; YAD VASHEM; Geni.com


 

Emma H. Gutenberg

 

Zu dieser jüdischen Krankenpflegerin oder Krankenschwester existieren kaum Informationen. Emma H. wurde am 24.3.1894 in Darmstadt geboren. Sie war ledig und wohnte zuletzt in Darmstadt.

 

Im März wurden 1000 Menschen aus Darmstadt, Kreis Darmstadt, Worms, Kreis Worms, Bingen und Mainz im Sammellager Liebig-Schule in Darmstadt interniert, unter ihnen Emma H.  An ihrem 48. Geburtstag, den 24.3.1942, wurden diese Menschen nach Piaski deportiert, ein Durchgangsghetto. Die vorigen mehr als 3000 Bewohner des Ghettos wurden kurz zuvor ins Vernichtungslager Belzec verschleppt und ermordet.

 

Seit der Deportation gab es von Emma H. Gutenberg kein Lebenszeichen mehr. Es existiert kein Todesdatum.

 

Quellen: Statistik des Holocaust; Yad Vashem; Bundesarchiv Gedenkbuch


 

Ida Guth, geb. Czerninski

 

Ida Czerninski wurde am 1.1.1893 in Świętajno, deutsch Schwentainen, geboren. Über ihre Familie konnte ich keine weiteren Daten gewinnen. Es wird vermutet, dass sie einen Sohn hatte, über den allerdings auch nichts bekannt ist. Ida Guth gehörte der jüdischen Gemeinde in Olecko (früherer Name bis 1928 Marggrabowa, dann bis 1945 Treuburg) an. Sie zog nach Berlin. Vermutlich arbeitete sie im Jüdischen Krankenhaus, denn dort wohnte sie auch. Nach der Deportationsliste war Ida Pflegerin. Das deutet darauf hin, dass sie vermutlich keine ausgebildete Krankenschwester war, denn die wurden auf der Deportationsliste als Schwester oder Krankenschwester geführt.

 

Ida Guth wurde am 29.11.1942 mit dem sogenannten 23. Osttransport unter der Nummer 590 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert.

In diesem Deportationszug befanden sich auch die 75 Kinder aus dem Baruch-Auerbachschen Waisenhaus.

 

Nach der Deportation gab es kein Lebenszeichen mehr von Ida Guth, ein Todesdatum existiert nicht, offiziell gilt sie als vermisst.

 

Quellen: https://iolecko.com/krotkie-historie-spolecznosc-zydowska-w-marggrabowej-treuburgu/; Yad Vashem; http://statistik-des-holocaust.de; Gedenkbuch Bundesarchiv


 

Lily Gutmann, geb. Fuld

 

Lily Hedwig Fuld wurde am 12.6.1923 in Frankfurt am Main geboren. Ihre Eltern waren der Kaufmann Otto Fuld, geboren 22.3.1894 in Frankfurt am Main und Frieda, geborene Sander am 7.11.1893, auch in Frankfurt am Main. Lily war ihr einziges Kind, denn der zwei Jahre jüngere Bruder Albert starb mit fünf Jahren.

 

Bis zur sogenannten „Machtergreifung“ konnte Lily unbeschwert aufwachsen. Sie besuchte die Holzhausen-Grundschule. Ihr Vater, der mit einem Teilhaber eine Firma besaß, war in seiner Freizeit nicht nur ein begeisterter Fußballspieler bei Eintracht Frankfurt, sondern besuchte auch gerne die Spielwarenmesse in Nürnberg und brachte seiner geliebten Tochter immer schöne Spielsachen mit. Durch seine Firma hatte ihr Vater viele Geschäftsfreunde in Schweden. Dorthin hätte die Familie 1934 aufgrund ihrer Beziehungen auswandern können. Ihr Vater nahm die Chance nicht wahr. Er war in seiner Heimatstadt verwurzelt und er glaubte auch nicht, dass ihm etwas passieren könne. Schließlich hatte er am I. Weltkrieg teilgenommen und das Eiserne Kreuz erster Klasse erhalten.

 

Am 10.11.1938 wurde er eines Besseren belehrt. Er wurde verhaftet und vom 12. bis 30.11.1938 im KZ Buchenwald inhaftiert. Nach seiner Rückkehr versuchten ihre Eltern über England in die USA zu emigrieren. Es war zu spät. Aber für Lily bot sich die Chance, mit einem Kindertransport nach England zu entkommen. Schweren Herzens trennten die Eltern sich von ihrem Kind und am 21.6.1939 konnte die 16jährige Deutschland verlassen.

 

In England absolvierte Lily die Ausbildung zur Krankenschwester. Nach dem Krieg musste sie erfahren, dass ihre Eltern am 19.10.1941 nach Lodz deportiert wurden. Ihr Todesdatum ist unbekannt. 1948 heiratete sie einen Holländer Meijer und lebte in Scheveningen/Den Haag. 1952 bekam sie ihren Sohn Roy. In zweiter Ehe war sie mit Walter Gutmann verheiratet, einem ehemaligen Jugendfreund aus Frankfurt, und zog in die USA.

 

Quelle: Initiative Stolpersteine Frankfurt am MaIn 6. Dokumentation 2008


 

Foto: Ehepaar Guttmann, vermutlich 1940 in Frankreich (DÖW)

 

Auguste Guttmann

 

Die Krankenschwester Auguste Guttmann, geborene Spitzer, wurde am 4.8.1893 in Platt/Zellerndorf in Niederösterreich geboren. Sie war mit dem Elektiker und Chauffeur Fritz Guttmann, geboren am 15.3.1896 in Litschau, verheiratet.

 

Das Ehepaar gehörte der Kommunistischen und Sozialdemokratischen Partei Österreichs an und kämpfte ab 1937 in den Internationalen Brigaden in Spanien (siehe Internationale Brigade).

 

Auguste arbeitete als Krankenschwester in Villanueva de la Jara, dann in S'Agaró und ab dem 17. 8. 1938 in Pins de Vallès.

 

Nach der Katalonienoffensive mussten im Februar 1939 viele Brigadisten über die Grenze nach Frankreich fliehen, auch das Ehepaar Guttmann. 1939 gelangten auch Auguste und Fritz nach Frankreich. Das Ehepaar wurde im berüchtigten Sammel- und Durchgangslager Drancy 20 km nordöstlich von Paris inhaftiert. Am 30. 5. 1944 wurde Auguste mit dem Convoi 75 von Drancy nach Auschwitz deportiert, der dort am 2. 6. 1944 eintraf. Dort verliert sich ihre Spur. Auch ihr Mann wurde am 27.3.1942 mit dem Convoi 1 von Drancy nach Auschwitz deportiert und überlebte nicht.

 

Für Auguste Guttmann und ihren Mann existiert kein Sterbedatum.

 

Quelle: DÖW; YAD VASHEM


 

Ruth Guttmann (Bodman), geb. Fröhlich

 

Die Krankenschwester Ruth Guttmann wurde am 8.2.1913 in Hildesheim als Ruth Fröhlich geboren. Ihre Eltern waren der Kaufmann Moritz Fröhlich, geboren am 7.12.1880 in Ulrichstein, Hessen, und Rosa, geborene Rosenbaum am 23.1.1880 in Czarnikau/Posen. Moritz Fröhlich war in Hildesheim der Inhaber der Firma Fröhlich und besaß dort ein Geschäft und Reinigung für Bettfedern. Ruth hatte eine jüngere Schwester Ursula, Ulla gerufen, geboren am

 

 

Zum sogenannten Boykott-Tag am 1.4.1933 standen mit Gummiknüppeln bewaffnete Nazis der SA auch vor dem Geschäft von Ruths Vater, hinderten Kunden am Betreten des Geschäftes und griffen ihn tätlich an. Spätestens jetzt war die Familie nachhaltig gewarnt. Der Vater starb am 10.11.1936 in Hildesheim. Kurz vor ihrer Deportation nach Theresienstadt starb die Mutter am 16.6.1942. Ruths Schwester Ursula gelang mit ihrem Mann Günter Cohn die Flucht nach Kuba und konnte später nach Florida in die USA auswandern.

 

Ruth heiratete Salus Guttmann, geboren am 24.12.1903 in Schmalleningken. Vor ihrer Abreise wohnten und arbeiteten sie in Berlin. Auch Ruth wollte mit ihrem Mann nach Kuba flüchten, um von dort in die USA zu gelangen. Das Ehepaar gehörte zu den Passagieren der "MS St. Louis". Dieses Schiff war am 13.5.1939 aus Hamburg auf Geheiß des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels mit etwa 1000 jüdischen Emigranten nach Kuba gestartet. Doch die kubanische Regierung erklärte plötzlich die Visa für das Land als ungültig. Die "MS St. Louis" durfte nicht am Pier des Hafens anlegen. Eine Landeerlaubnis scheiterte an den horrenden finanziellen Forderungen des Landes.

 

Daraufhin kreuzte die "MS St. Louis" vor Florida, doch auch die USA wiesen das Schiff ab. So musste die "St. Louis" die Rückfahrt nach Europa antreten.

An Bord drohte eine Massenpanik. Aus Angst vor der Deportation in Konzentrationslager erwägten die Passagiere einen Massensuizid oder Meuterei. Schließlich gelang es dem Kapitän Gustav Schröder und den Bemühungen jüdischer Hilfsorganisationen unter dem wachsenden öffentlichen Druck, Antwerpen statt Hamburg anfahren zu können, wo die Passagiere am 17.6.1939 das Schiff verließen. Belgien, Holland, Frankreich und Großbritannien erklärten sich zur Aufnahme der bedrohten Flüchtlinge bereit.

 

Ruth Guttmann und ihr Mann gehörten zu den 228 Flüchtlingen, die Großbritannien aufnahm. So entgingen sie dem Schicksal vieler Mitpassagiere, die in Holland, Frankreich und Belgien bald wieder von den Nazis überrollt wurden.

 

Ihr Mann meldete sich in Großbritannien zur englischen Armee, sie selber begann bald wieder in ihrem erlernten Beruf als Krankenschwester zu arbeiten. Das Ehepaar bekam ein Kind, doch die Ehe scheiterte und sie ließen sich scheiden. Salus Guttmann änderte seinen Namen in Steven Godwin und wanderte in die USA aus. Ruth Guttmann nannte sich später Ruth Bodman und blieb in England.

 

Ruth Bodman starb 1981 im Alter von 67 Jahren in Southhampton.

 

Quellen: United States Holocaust Memorial Museum: Voyage of the St. Louis; Geni.com; Ich danke Peter Nathan Froehlich für die Recherche

Gratis Homepage von Beepworld
 
Verantwortlich für den Inhalt dieser Seite ist ausschließlich der
Autor dieser Homepage, kontaktierbar über dieses Formular!