Virtuelles Denkmal "Gerechte der Pflege"

"... die tolldreisten, machthungrigen Horden, sie konnten den Geist nicht morden!"


Anny Edel, geb. Schwarz

 

Anny Schwarz wurde am 2.6.1912 in Wien geboren. Sie kam aus einer bürgerlichen jüdischen Familie. Ihre Schwester wanderte bereits 1934 nach Palästina aus. Nach der Schule absolvierte Anny eine Ausbildung zur Zahntechnikerin.

Anny gehörte der Sozialistischen Jugend an. Außerdem war die begeisterte Bergsteigerin und Kanutin Mitglied bei den "Naturfreunden". Dort lernte sie den Arzt Dr. Emanuel Edel, geboren am 26.6.1910 in Wien, kennen. Er gehörte zum Verband Sozialistischer Studenten Österreichs, nach den blutigen Februarkämpfen 1934 trat er der KPÖ, Kommunistischen Partei Österreichs, bei. Anfang 1937 heirateten sie. Ihre Flitterwochen im Februar 1937 nutzten sie für eine Reise nach Paris.

 

Ihr Mann reiste am nächsten Tag von dort nach Spanien zu den Internationalen Brigaden. Anny kehrte nach einer Woche allein nach Wien zurück. Im Herbst 1937 verlor sie unter einer fadenscheinigen Begründung ihren Arbeitsplatz als Zahntechnikerin. Der wirkliche Kündigungsgrund war ihre politische Gesinnung und jüdische Herkunft. Kurz darauf wollte man die Kündigung zurücknehmen, doch ihr kam die Kündigung sehr gelegen. Sie hatte schon lange vor, auch zu den Internationalen Brigaden zu gehen und bei ihrem Schwiegervater bereits Spanischunterricht genommen.

 

Auf eigene Faust machte sie sich nach Spanien auf. In Spanien trat Anny ebenfalls der KPÖ bei. Nach einer abenteuerlichen Fahrt traf sie kurz mit ihrem Mann zusammen. Es blieb ein kurzes Treffen, Anny wurde nach Madrid beordert. Dort arbeitete sie als Krankenschwester, wenn auch nicht dafür ausgebildet, im Lukacs-Krankenhaus. Sie hatte nur einen Erste-Hilfe-Kurs, sah sich aber viel bei Kollegen ab. Weitere Einsatzorte folgten, mit ihrem Mann hatte sie meistens nur brieflichen, manchmal telefonischen Kontakt. Meistens wusste sie aber gar nicht, wo er ist. Das sollte sich nach dem Zusammenbruch der Internationalen Brigaden nicht ändern.

 

Ihr gelang die Emigration nach England, wo sie eine Ausbildung zur Hebamme machte. Ihr Mann wurde in verschiedenen Lagern in Frankreich interniert, bis ihm die Flucht gelang. In Lyon war er dann Verbindungsmann zu österreichischen Widerstandskämpfern, später Kämpfer in der jugoslawischen Volksbefreiungsarmee.

 

Nach Kriegsende wurde er Polizeiarzt, stellvertretender Chefarzt der Polizeidirektion Wien und Präsident des "Bundesverbandes österreichischer Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus". Anny Edel kehrte 1946 nach Wien zurück. Sie hätte gerne noch Medizin studiert, aber das Geld war knapp und so arbeitete sie als Assistentin ihres Mannes. Das Ehepaar bekam noch eine Tochter. Ihr Mann starb am 28.12.1991, Anny Edel am 21.11.2006 in Wien.

 

Quelle: Spanienkämpferinnen: Ausländische Frauen im spanischen Bürgerkrieg 1936-1939, ISBN-10: 3643504047, ISBN-13: 978-3643504043; DÖW


 

Patience Edney, geb. Darton

 

Patience Darton, wurde am 27. August 1911 in Orpington in Kent, England, geboren. Sie hatte eine Schwester Hillary. Ihr Vater hatte einen Buchverlag und die Familie lebte zunächst im Wohlstand. Allerdings ging der Verlag bankrott und Patience lernte ab dem Teeangeralter, mit angespannten wirtschaftlichen Verhältnissen zurechtkommen zu müssen. Daher war es ihr unmöglich, Medizin zu studieren, wie sie es eigentlich beabsichtigt hatte. Notgedrungen entschied sich Patience dafür, die Ausbildung als Krankenschwester zu machen. Auch das fiel ihr nicht leicht, denn sie musste erst drei Jahre jobben, um die finanziellen Mittel für die Einschreibung aufbringen zu können.

 

In der „Great Depression“, der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, schärfte sich ihr Blick für die gesellschaftlichen Probleme. Christlich erzogen wandte sie sich der sozialistischen Kirche zu und wurde eine Unterstützerin der Labour Party. Sie litt darunter, wenn beispielsweise Patienten zum Sterben in ihr Krankenhaus kamen, weil ihnen vorher ein paar Schillinge fehlten, um rechtzeitig einen Arzt bezahlen zu können. In ihrer Ausbildung zur Krankenschwester und Hebamme lernte sie das „East End“ kennen und die dortigen menschenunwürdigen Lebensverhältnisse und täglichen sozialen Ungerechtigkeiten.

 

Bei Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs war sie entsetzt, dass England nicht bereit war, gegen den Faschismus zu kämpfen. Die Spanier dagegen wehrten sich. Sie bot ihre Dienste dem spanischen Komitee für medizinische Hilfe an. Im Februar 1937 ging sie nach Spanien zu den Internationalen Brigaden.

 

Darton arbeitete in medizinischen Einheiten in Aragón, Brunete, Teruel und Ebro. Sie lernte, unter schwierigsten Bedingungen Hilfe zu leisten. In Ebro war zum Beispiel das Lazarett in einer dunklen niedrigen Höhle mit unebenen Boden untergebracht. Die Verwundetenversorgung fand im Schein winziger Öllampen statt, gewöhnliche Dosen mit Docht und Öl, vor der Höhle Dauerbeschuss.

 

Patience blieb bis zum Ende der Internationalen Brigaden im Land. Nach ihrer Rückkehr nach London trat sie der Kommunistischen Partei Großbritanniens bei. Sie engagierte sich weiter für die spanischen Republikaner, organisierte und beteiligte sich an Veranstaltungen und Demonstrationen, forderte Waffen für Spanien, wurde in Großbritannien zu einem Gesicht der Bewegung gegen Faschismus.

 

Während des Zweiten Weltkriegs nutzte sie ihre Spanienerfahrung und unterrichtete Frauen in der Arbeit der Kriegspflege. Außerdem betreute sie tschechische Flüchtlinge, viele von ihnen Juden, die im März 1939 nach der Annexion Böhmens in das Vereinigte Königreich strömten.

 

Am Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete Patience für die UN-Hilfs- und Rehabilitationsagentur (UNRRA). Ihre Aufgabe war die Beschaffung und Verteilung von Nahrungsmitteln für die hungernde Zivilbevölkerung in Europa. Obwohl viel von der UNRRA erreicht wurde, gab es auch Frustrationen, beispielsweise wenn das amerikanische Militär lieber Luxuslieferungen an ihre Truppen transportierten statt den Zivilisten das Nötigste zu liefern.

 

Kurz nach Kriegsende kehrte Darton zu ihrem Pflegeberuf zurück. Der Kalte Krieg irritierte sie, aber sie blieb davon überzeugt, dass die Sowjetunion den besseren Weg ginge. In den frühen 1950er Jahren heiratete sie Eric Edney, einen Beamten der Kommunistischen Partei und gründete eine Familie. Sie begrüßten die Entwicklung in China. Eher naiv zogen Patience und ihr Ehemann nach China, um dazu beizutragen, den Sozialismus in dem Land mitaufzubauen. Ihr Sohn Robert wurde dort geboren. Bald wurde die Familie in die inneren Unruhen Chinas reingezogen. Ihr Mann wurde verhaftet und ihr und ihrem Sohn drohte Inhaftierung. Sie sah die Probleme des realen Kommunismus, blieb aber ihrem kommunistischen Ideal treu und trat nicht, wie viele, aus der britischen Kommunistischen Partei aus. Zeit ihres Lebens blieb sie stolz auf ihre Teilnahme in der Internationalen Brigade.

 

Im Alter fürchtete sie sich, irgendwann in einem Pflegeheim zu vegetieren. Das blieb ihr erspart. Zusammen mit etwa 700 Überlebenden der Internationalen Brigaden reiste sie im November 1996 nach Spanien, um am 60. Jahrestag des Bürgerkriegs teilzunehmen. Die Brigadisten, inzwischen alt und gebrechlich, erhielten die spanische Ehrenbürgerschaft. Am Abend des 5.11.1996 besuchte die 85jährige Patience ein Madrider Konzert. das zu Ehren der Veteranen der Internationalen Brigaden gehalten wurde und an dem 35000 Bürger der spanischen Hauptstadt teilnahmen. Am 6.11.1996 starb Patience Edney, geb. Darton, überraschend in Madrid.

 

Quellen: Spartacus Educational; Graham Stevenson; encyclopedia.com


 

Anna Ehn

 

Die Wienerin Anna Ehn, geboren 1931, war im Oktober 1944 auf dem Weg zur Kirche, als sie von einem 13-jährigen jüdischen Mädchen angesprochen wurde, das um Essen bat.

 

Das Kind, Ilona Friedman (Katz), war mit ihrer Mutter und sechs Geschwistern 1944 mit einem Judentransport aus Ungarn in ein Lager nach Wien gekommen. Nach Bombenangriffen mussten Kinder aus dem Lager Aufräumarbeiten in den Straßen leisten. Die Essensrationen reichten kaum zum Überleben, erst recht nicht für die schwere körperliche Arbeit, die sie nun leisten mussten.

 

Ehn hatte Mitleid mit dem Mädchen und gab ihr die Semmeln, die sie bei sich hatte. Aber sie ging nun fast täglich hin, um das Kind mit Essen zu versorgen. Dann wurde Ilonas Schwester bei einem Luftangriff schwer verwundet.  Ausgerechnet in ein SS-Spital wurde sie gebracht. Ilona war es klar, dass ihre Schwester in ein Todeslager verschickt wird und bat Anna Ehn um Hilfe.

 

Es musste Anna Ehn klar sein, dass sie sich selber gefährdete, wenn sie Juden half. So etwas nannte man nämlich "Judenbegünstigung" und konnte leicht im KZ Ravensbrück enden. Als "Judenbegünstigung" konnte bereits der Gruß an den jüdischen Nachbarn morgens auf der Straße gewertet werden. Nichtsdestotrotz ging sie zu dem SS-Spital und bat die Ärzte darum, dass sie das Mädchen mitnehmen und zu Hause pflegen darf. Da die Ärzte sowieso nicht damit rechneten, dass das Kind überlebt, gaben sie die Einwilligung.

 

Anna Ehn pflegte das Kind drei Monate in ihrer Wohnung. Es wurde gesund. Es grenzte schon fast an ein Wunder, dass die Gestapo sie nicht behelligte. Kurz vor Kriegsende wurden die ungarischen Juden in Wien nach Mauthausen transportiert. Aber beide Mädchen erlebten das Kriegsende.

 

Ehn handelte aus Mitgefühl. Sie erhielt keine Bezahlung für die Pflege des Mädchens und das Risiko, dass sie für sich selber einging. Wer ein Leben rettet rettet die ganze Welt. Anna Ehn wurde am 26.10.1978 vom Institut Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.

 

Quelle: Yad Vashem; Die Gerechten Österreichs: Anna Ehn; Wikipedia


 

Else Ehrenbacher,  geb. Selig

 

Else Selig wurde am 15.6.1892 in Würzburg geboren. Ihre Eltern waren der Weinhändler Simon, geboren am 16.4.1860, und Karoline, geb. Stern am 28.11.1868. Sie hatte zwei Geschwister, Paula Sinzinger, geboren 1890, und Ernst, geboren 1893.

 

Else heiratete 1919 Dr. jur. Ludwig Ehrenbacher, geboren am 17.1.1884 in Nürnberg. Ihr Ehemann war ab 1911 Rechtsanwalt im Oberlandesgerichtsbezirk Nürnberg und stand den Sozialdemokraten nahe. Das Ehepaar hatte drei Kinder, Anne(lore), geboren am 7.6.1920, Annemarie, geboren am 6.5.1922 und Hans Heinz, geboren am 29.11.1925. Dr. jur. Ludwig Ehrenbacher starb am 7.5.1933 in Nünberg nach einer Erkrankung. Es ist nicht geklärt, ob seine Erkrankung und früher Tod direkt oder indirekt Folge der NS-Verfolgung war.

 

Nach dem Tod ihres Mannes zog Else Ehrenbacher mit ihren Kindern zur inzwischen verwitweten Mutter nach Würzburg. Sie arbeitete dort als Krankenpflegerin bei der Jüdischen Gemeinde. Nicht geklärt ist, ob sie Krankenpflege gelernt hatte. Ihre Tochter Anne(lore) bekam 1939 eine Arbeitserlaubnis als Hausmädchen und konnte nach England emigrieren. Ihr Sohn flüchtete 1939 mit seiner Großmutter Karoline zu Elses älterer Schwester Paula und deren Mann, die bereits in Amsterdam lebten. Dort wurde der Sechzehnjährige verhaftet, in das Durchgangslager Westerbork verschleppt, am 10.8.1942 nach Auschwitz deportiert und dort am 30.9.1942 ermordet.

 

Else Ehrenbacher blieb mit ihrer Tochter Annemarie in Würzburg. Zuletzt waren sie in der Israelitischen Kranken- und Pfründnerhausstiftung, die den Nazis inzwischen auch als Sammellager diente. Von dort wurden Mutter und Tochter am 17.6.1943 nach Auschwitz deportiert. Else Ehrenbacher und ihre Tochter wurden später für tot erklärt, das heißt, sie wurden nicht in Auschwitz registriert und der Ankunftstag war auch der Tag ihrer Ermordung.


Quellen: Reiner Strätz, Biographisches Handbuch Würzburger Juden 1900-1945, ISBN-13: 9783877177624, ISBN-10: 387717762X; Das Bundesarchiv Gedenkbuch; Joods Monument, YAD VASHEM; Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933, ISBN: 9783486580600; Stolpersteine Würzburg; Biografische Datenbank Jüdisches Unterfranken, Uni Würzburg


 

Anita Ehrenberg

 

Die Krankenschwester Anita Ehrenberg arbeitete bis zuletzt im jüdischen Krankenhaus Berlin. Nach Kriegsende emigrierte sie in die USA.

 

Quelle: Gerhard Nerlich: 250 Jahre Jüdisches Krankenhaus Berlin (Dezember 2006)


 

Ida Lina Ehrenberg

 

Ida Lina Ehrenberg, Tochter von Feivel (Felix) und Mathilde Ehrenberg, geborene Schiffer, wurde am 25.5.1916 in Karlsruhe geboren. Sie hatte vier Brüder, Nikolaus (10.4.1913), Heinz (geb. 23.7.1914), Ferdinand (8.12.1917) und Max ( 21.11.1924). Ihr Vater starb 1928 und die Mutter hatte es nicht leicht, die fünfköpfige Familie durchzubringen. Die Kinder mussten ihr in ihrem kleinen Lebensmittelgeschäft helfen. Ida Lina schaffte es trotzdem, nach der Schule eine Ausbildung als Kinderpflegerin zu machen. Ab 1939 arbeitete sie als Kinderpflegerin im Kindergarten der Israelitischen Religionsgesellschaft.

 

Ihr älterer Bruder wurde nach Polen ausgewiesen, weil er keine deutsche Staatsbürgerschaft besaß. Dann kam die sogenannte „Reichskristallnacht“. Das Lebensmittelgeschäft hatten sie aufgeben müssen. Die Familie beschloss, sich nach Frankreich zu retten. Sie kamen völlig mittellos in Paris an, denn ihr Umzugsgut wurde von der Gestapo beschlagnahmt. Aber der Bruder der Mutter, der schon lange in Paris lebte, konnte sie erstmal unterstützen.

 

Am 16.7.1942 wurde Ida Lina in Paris bei einer Großrazzia verhaftet und ins Rafle du Vélodrome d’Hiver gebracht, wo an diesem einen Tage über 13.000 Menschen zusammengetrieben wurden. Sie kam in das Sammellager Drancy, der Verladestation zur Hölle. Am 27.7.1942 wurden 1000 Menschen, unter ihnen Ida Lina, nach Auschwitz deportiert. Am 29.7.1942 kam der Zug in Auschwitz an. Es kam kein Lebenszeichen mehr von ihr.

 

Später wurde als Todesdatum der 8.4.1945 bestimmt. Ihre Mutter und Brüder konnten sich nach Israel durchschlagen. Weil die Unterlagen der jüdischen Gemeinde fehlten (!), konnte ihre Qualifikation als Kinderpflegerin nicht bewiesen werden. Daher stufte man sie beim Wiedergutmachungsantrag als Haushaltshilfe mit einem Wochenverdienst von zwölf Reichsmark ein. 2704 DM war den bundesdeutschen Behörden das Leben von Ida Lina Ehrenberg wert. Ihre Mutter starb völlig verarmt am 12.9.1959 in Tel Aviv. Bis dahin war der Wiedergutmachungsantrag noch nicht bewilligt.

 

Quelle: Gedenkbuch für die Karlsruher Juden / Ich danke Nina Lesser-Schumacher für die Recherche.


 

Lydia (Lilly) Ehrenfried

 

Lydia Ehrenfried wurde am 20.8.1896 in Wroclaw (Breslau) geboren. Da sie nur Lilly gerufen wurde, war vielen Menschen der Vorname Lydia gar nicht bekannt. Genausowenig ist bekannt, dass Lilly nach ihrer Schulzeit sich als Krankenschwester ausbilden ließ.

 

Ausgestattet mit einem immensen Wissensdurst und großem Interesse auch an der Medizin entschloss sie sich, noch ein Medizinstudium zu absolvieren. 1926 –1927 arbeitete sie als Ärztin auf der Inneren Abteilung des Krankenhauses Moabit in Berlin, anschließend bildete sie sich in Kinderheilkunde, Orthopädie, Krankengymnastik und Sportmedizin weiter. Ab 1926 behandelte sie nebenberuflich als orthopädische Turnlehrerin Säuglinge und Kinder mit körperlichen Auffälligkeiten. 1928 ließ sie sich als praktische Ärztin in Berlin – Schöneberg in der Motzstraße nieder. Ein besonderes Anliegen war für sie die Geburtenkontrolle, ein großes Problem angesichts Massenarbeitslosigkeit und Verelendung großer Bevölkerungskreise.

 

Sie schlug dem Bezirksamt Prenzlauer Berg vor, eine "Ehe- und Sexualberatungsstelle" zu eröffnen und traf offene Ohren. Von 1929 bis 1933 leitete sie die Beratungsstelle, klärte über Verhütungsmethoden auf und verteilte kostenlose Verhütungsmittel. Ein Segen in dem verarmten Berliner Stadtbezirk. Entsprechend wurde die Beratungsstelle frequentiert. In der Ärzteschaft und Öffentlichkeit wurden zu dieser Zeit polemische Diskussion um Geburtenregelung geführt. Gerade die Parteien aus dem rechten Spektrum griffen sie massiv für ihre Arbeit in der Beratungsstelle an. Man warf ihr vor, "die Geburt deutscher Soldaten zu verhindern".

 

Lilly Ehrenfried, die sich vorher überhaupt nicht für Politik interessierte, politisierte sich nun zusehends unter dem Druck. Sie trat dem Verein Sozialistischer Ärzte bei, kandidierte 1931 auf der freigewerkschaftlichen Liste zur Ärztekammerwahl. Es verwundert nicht, dass mit der Machtübernahme durch Hitler ihr Leben akut gefährdet war. Provokationen, Verleumdungen und die Kündigung folgten.

 

Nachdem sie eine Warnung erhielt, dass die SA vor der Beratungsstelle auf sie lauere, fuhr sie am selben Abend mit dem Nachtzug nach Basel, einen Tag, bevor das "J" für Jude in ihren Paß gestempelt worden wäre. Ihre Flucht ging weiter über Nizza nach Paris, wo sie ihre Eltern nachholte. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht flüchtete sie nach Südfrankreich und wurde am 25.5.1940 in Gurs interniert. Einen Monat später gelang es ihr, abzutauchen. Unter falschem Namen mit falschen Papieren ausgestattet schaffte sie es, den Holocaust zu überleben. Nach dem Krieg blieb sie in Frankreich. Dort arbeitete sie weder als Krankenschwester noch als Ärztin, sondern als Heilgymnastikerin. Bis ins hohe Alter unterhielt sie eine kleine Praxis, veröffentlichte ein Buch über ihre Heilmethoden und setzte neue Impulse. Lilly Ehrenfried starb 1994 in Paris.

 

Quelle: Dr. Christian Pross; "Nicht misshandeln", ISBN 3-88725-109-1


 

Ruth Ehrmann

 

Die Krankenschwester Ruth Ehrmann arbeitete in Theresienstadt. Kurz vor Kriegsende waren in Theresienstadt etwa 17.500 Häftlinge. Wegen der vorrückenden Front wurden Konzentrationslager geräumt und als sogenannte Evakuierungstransporte ab dem 20.4.1945 nach Theresienstadt geschickt. In den folgenden Tagen trafen zu Fuß oder mit dem Zug circa 15.000 Menschen ein. Sie waren ausgehungert, krank, viele lagen im Sterben oder lagen bei der Ankunft schon tot in den Waggons. Und sie brachten Infektionskrankheiten mit, besonders Typhus und Fleckfieber. Eine Epidemie brach aus, die auch vor den Pflegekräften wie Ruth Ehrmann keinen Halt machten. Auch noch nach der Befreiung ging das Sterben weiter. Die Epidemie kostete 34 jüdischen Pflegern das Leben. Auch Ruth Ehrmann erkrankte an Flecktyphus, erholte sich aber davon. Nach der Befreiung arbeitete sie in einem Prager Kinderheim und steckte sich dort mit Kinderlähmung an. Ihr geschwächter Körper konnte sich nicht mehr wehren und sie starb im September 1945.


 

 

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