Virtuelles Denkmal "Gerechte der Pflege"

"... die tolldreisten, machthungrigen Horden, sie konnten den Geist nicht morden!"


     2023    

20 Jahre Virtuelles Denkmal „Gerechte der Pflege“

 

Das Virtuelle Denkmal feiert in diesem Jahr sein zwanzigjähriges Bestehen. Dahinter verbergen sich 20 Jahre Arbeit, mal mehr, mal weniger – so wie es mir meine Freizeit erlaubte. Wobei ich bemerken muss, dass ich mich richtig an Recherchen festbeißen konnte und Raum und Zeit darüber vergaß. Da wurde auch mal schnell die Nacht zum Tag und das Bett ein überflüssiges und überbewertetes Möbelstück. Dann konnte ich mich auch manchmal monatelang nicht mit dem Virtuellen Denkmal beschäftigen, weil die Arbeit zum Broterwerb, familiäre oder andere Verpflichtungen es nicht zuließen.

 

Grundsätzlich bedeutete es immer grenzenlose Freude, wenn ich wieder mal eine Pflegekraft aufspürte und sie dem Vergessen entreißen konnte. Besonders dann, wenn dieser Mensch in der Nazizeit ein Zeichen setzen konnte und es überlebte.

 

Ich kann nicht verleugnen, dass mich teilweise die Recherchen auch massiv belasteten, wie zum Beispiel die Suche nach Pflegekräften über die Deportationslisten. Die Arbeit am Virtuellen Denkmal bedeutete oft den Blick in menschliche Abgründe. Manchmal war es irgendwann zu viel und das Virtuelle Denkmal musste einige Zeit ruhen, weil ich den Abstand dringend brauchte. Dennoch bedeuteten auch die Opfer einen Triumph für mich, denn die Nazis hatten den perfekten Mord geplant. Ihren Opfern einen Namen, noch besser wenn möglich ein Gesicht wiederzugeben bedeutete, dem braunen Mob nachträglich in die Suppe zu spucken, sie als das zu entlarven, was sie waren: menschenverachtende Verbrecher, der Abschaum der Menschheit.

 

Weniger belastend waren die Angriffe aus der rechten Ecke. Eigentlich lösten sie bei mir nur Kopfschütteln aus. An Bedrohungen gewöhnte ich mich und da mir klar war, dass es denjenigen in erster Linie um Aufmerksamkeit ging, landeten die diversen Drohmails genau dorthin, wo sie hingehörten: in den Papierkorb. Massive Einschüchterungsversuche bewirkten eine Aufmunterung, die Arbeit fortzusetzen. Danke!

 

Einmal kamen Klagen, dass ich nicht die Opfer der „bolschewistischen Armee“ und „russischen Horden“ berücksichtigen würde. Als Beispiel wurde eine Krankenschwester genannt, die unter einem berüchtigten SS-Arzt arbeitete und von Rotarmisten bestialisch ermordet wurde. Genau diese Krankenschwester ist heute im Virtuellen Denkmal. Trotz ihrer Arbeitsstelle oder genau deshalb leistete sie massiv Widerstand. Manchmal bot das Virtuelle Denkmal echte Überraschungen.    

 

Die letzten 20 Jahre bedeuteten auch viele Enttäuschungen. Beispielsweise dass nie ein Arbeitsteam zustande kam. Manche Zeitgenossen fanden es schick, Kritik an meiner Arbeit zu äußern, anstatt daran mitzuarbeiten, die Punkte ihrer Kritik abzustellen oder die Arbeit zu verbessern. Gerade beim damaligen Wiki waren dafür die Bedingungen hervorragend, wurden aber nicht genutzt. Bei einigen war ein deutlicher Konkurrenzkampf erkennbar. Ich hatte nie vor, das Virtuelle Denkmal in irgendeiner Form zu vermarkten, einen materiellen Nutzen daraus zu ziehen oder mich darüber zu profilieren. Also was sollte der Quatsch?

 

Oder die Ausstellung, die ich zum Virtuellen Denkmal erstellt hatte mit extremem Einsatz meinerseits, auch finanziell, und großzügiger Unterstützung durch Maike Arft-Jacobi. In der Schule, wo habe ich jetzt mal vergessen (wollen), in der die Ausstellung gezeigt wurde, war ich nur entsetzt. Die Pflegeschüler begriffen nicht einmal im Ansatz, um was es ging, inklusive der Zeitungsfrau, die einen Artikel zur Ausstellung verfasste. Das Gästebuch zur Ausstellung wurde z.B. durch Schüler dazu benutzt, sich gegenseitig irgendwelche hohlköpfigen Nachrichten zukommen zu lassen. War es Bösartigkeit, Unwissenheit oder einfach nur Dummheit? Die Erfahrung war für mich derart schlimm, dass es zu keiner zweiten Ausstellung kam.

 

Das Wiki reihte sich ein in die Enttäuschungen. Immer wieder Manipulationen, Hackerangriffe, bis schließlich zur mutwilligen Zerstörung. Das hinterließ seine Spuren. Viele Daten gingen verloren, die jede Menge Zeit, Kraft und Anstrengungen zur Wiederherstellung erforderten, die die Weiterarbeit blockierten.

 

In der letzten Zeit habe ich das Gefühl, dass anscheinend merklich das Interesse gesunken ist, den Nationalsozialismus aus pflegerischer Sicht aufzuarbeiten. Das enttäuscht mich nicht nur, sondern erschreckt mich.

 

Aber es gab auch Erfolgserlebnisse. Wenn ich beispielsweise Menschen behilflich sein konnte, das Schicksal ihrer Angehörigen aufzuklären. Oder wenn ich neue Informationen oder Erkenntnisse zu den Gerechten der Pflege bekam.

 

Inzwischen treiben mich ganz andere Sorgen um. Ich werde nicht jünger. Wer setzt eines Tages die Arbeit fort? Und zwar möglichst in meinem Interesse, das heißt ohne kommerzielle Interessen, weltanschauliche Ausrichtung, Grenzen, Standesdünkel oder Zensur.

 

Zurzeit denke ich, ist das Virtuelle Denkmal Gerechte der Pflege bei Beepworld gut aufgehoben. Aber auch da gab es mal einen Störfall, durch den ich tagelang zitterte, ob es das Virtuelle Denkmal überlebt hatte.

 

Deshalb werde ich die Recherchen in nächster Zeit herunterfahren und versuchen, das Virtuelle Denkmal in Buchform zu veröffentlichen. Nicht, um damit Geld zu verdienen, sondern um die Daten abzusichern. Eine andere Idee habe ich derzeit nicht. Vielleicht finden sich ja doch noch Menschen oder Organisationen, die das Virtuelle Denkmal langfristig übernehmen und erhalten und die Arbeit in meinem Sinne fortsetzen. Das wäre für mich die beste Lösung und ein ganz großer Wunsch. Ein anderer Wunsch sind Übersetzungen in verschiedene Sprachen. Den hege ich schon seit 20 Jahren, bisher leider erfolglos.

 

H. Dreyling-Riesop

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